Schweigen ist Reden ohne Worte

Manchmal sollte man schweigen, auch wenn man nicht stumm ist
Meine Oma hatte immer eine Weisheit auf Lager, meistens gab sie diese von sich, wenn sie, gehüllt in einen Kittelrock, eine Schale Wasser auf dem Schoß und Schweinekartoffeln, die kleinsten der kleinen Kartoffel, die eigentlich für den Schweinetopf gedacht waren, schälend auf einem Schemel im Keller saß: Schweigen ist immer noch besser, als stumm sein.
Der Stumme kann ja gar nicht reden, weil er keinen Ton herausbekommt, er würde aber vielleicht gern, weil sich so viele Geschichten in seinem Kopf angestaut haben, dass er fast platzt. Der Schweiger hingegen schweigt, weil er es will. Der große Schweiger damals, Gregory Peck, sprach nicht, er nickte, er zwinkerte, er zuckte vielleicht einmal, aber eigentlich tat er auch das nicht; er wartete. Vielleicht hat er die Frage nicht verstanden, dachte ich. Dann aber merkte dich, dass er gar nichts sagen musste, die Leute waren verunsichert und plauderten los, plätschernd wie zehn Wasserfälle quasselten sie dem Peck den Patronengurt von der Taille, und irgendwann zog einer der Plaudertaschen seinen Colt, weil er sich um Kopf und Kragen geredet hatte und wollte damit seinem Schicksal zuvorkommen und selber Schicksal spielen. Der große Schweiger aber hatte sich auf diese Situation vorbereitet, denn er hatte geschwiegen und nicht seine Zeit mit sinnlosen Worten, mit Geschwätz und Geschwafel vertan. Wummm! Das hatte gesessen. Nicht viel Worte machen, handeln, das war die Erfolgsdevise.
Meine Oma, die jetzt die zweiundzwanzigste Schweinekartoffel filigran umschälte, meinte etwas anderes: Manchmal sei es besser gewesen, das Leben hätte Menschen mit Stummheit belegt, dann würde man nicht hören, dass sie dummes Zeug erzählen oder aber einen unangenehmen Sprachfehler hätten. Das wäre hart. Denjenigen, die sich aber unter Kontrolle hätten, sei das Schweigen die bessere Variante. In der Regel würden sie den Mund halten, hätten aber immer noch die Möglichkeit, junge Frauen zu beeindrucken, die auf Sprachfehler stehen, zum Beispiel verursacht durch eine schwerfällige Zunge oder eine, die lispelt. Diese Menschen wirkten dann immer etwas tumb, könnten aber die jungen Frauen, die vor ihnen wegschmölzen, nicht an zwei Händen abzählen, denn Sprachfehler weckten den Mutter- und Beschützerinneninstinkt in jungen Frauen. Meine Oma hatte die letzte Kartoffel geschält und murmelte: Alles ist im Leben zu irgendwas gut. Und Schweinekartoffeln können auch Menschen schmecken.