Wenn Schuhe mahnen

Da sitzt du erschöpft in der Regionalbahn, die Temperatur leicht erhöht, weil der Wagen überhitzt, schlecht belüftet und gefüllt ist, lässt deinen Blick umherschweifen, schaust durch lange nicht geputzte Fenster, die Landschaft rattert vorüber, denkst über den Nothammer an der Seitenverkleidung nach, nimmst den Mann mit dem Notebook in den Blick, und denkst, dass die Welt sich auflöst, aus den Fugen gerät, explodiert, schmilzt, wegfließt, sich nach außen krempelt, eckig wird, dreckig, morbide und nur Greenpeace die Rettung sein kann, Greenpeace und Sigmar Gabriel, der alte Doppelsitzpolitiker, dieser viel zu fette Mann, diese Kosmopolit-Kugel, verwirfst diesen Gedanken, stellst dir vor, wie der ein Bio-Schnitzel in den Mund schiebt, Fett glänzt in den Mundwinkeln, und verzweifelst an deiner Ohnmacht, an deiner Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, Tatenlosigkeit, Gefangenheit in deinem langweiligen Alltag, der dieser Fahrt mit der Regionalbahn gleicht, in mittelmäßigem Tempo von Station zu Station zu rappeln, nichts passiert, Menschen steigen aus, Menschen steigen ein, niemanden lernst du kennen, niemanden verabschiedest du, nur der Zugbegleiter spricht mit dir: Die Fahrkarte, bitte! Iregndwann wirst du die Endstation erreicht haben. Dann wirst du gehen müssen. Plötztlich und endlich fällt dein Blick auf die Schuhe eines jungen Mädchens: Schwarze Turnschuhe mit Totenköpfen! Das soll dir Mahnung sein. Vergänglichkeit. Nutze den Tag, diese Fahrt, diese Station, die Möglichkeit, einen Blick auf deinen Nächsten zu werfen. Nutze das Leben. Ein Lächeln tastet sich vorsichtig auf deine Lippen. Der Mann mit dem Notebook lächelt zurück, das Mädchen mit den Totenkopfschuhen wippt fast übermütig mit dem Fuß. Der Nothammer hängt ruhig an der Seitenwand. Und du weißt: Es geht weiter. Trotz allem geht es weiter. Der Zugbegleiter fragt: Jemand zugestiegen? Du lächelst ihn an und fragst: Wo?