Weihnachten bei Bodo(3): Die Tanne

Am Baum war ihm das Christkind nahe. Er hatte es nur um wenige Augenblicke verpasst, das ganze Jahr über würde er ihm nicht mehr so nahe sein.
In diesem Jahr hatte Bodo ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel bekommen, mit dem er nicht gerechnet hatte und ein Buch über einen Indianerhäuptling: Großer Häuptling Blaufeder. Vielleicht war er im letzten Jahr besonders artig gewesen, genau konnte er das im Vergleich zu den Vorjahren nicht sagen.
Die Kerzen waren halb abgebrannt und wurden gelöscht, damit sie morgen noch einmal Glanz auf den Baum bringen konnten. Gleich ging es nach Nebenan, zu Bodos Großeltern, in deren Haushalt auch Bodos Onkel mit Frau und zwei Kindern lebte. Auch wenn die Mutter es langweilig fand, den Abend nebenan zu verbringen und der Vater sich nicht traute, es langweilig zu finden, denn es waren immer seine Eltern und die Familie seines Bruders, wurde darüber nicht gesprochen. Der Gang gehörte zum Pflichtprogramm und war Bestandteil eines jeden Weihnachtsfestes, genau wie das Schmücken des Weihnachtsbaumes und das Braten der Schnitzel und der Gottesdienstbesuch, der immer länger dauerte als geplant.
Es war die Gelegenheit, einen Blick auf die Tanne der Nachbarn zu werfen und zu bewerten, wer in diesem Jahr den besseren Griff getan hatte. Auch wenn die Gespräche belanglos waren und sich um ganz andere Dinge drehten, meistens um merkwürdige Geschichten aus dem Krieg, riskierte sogar Bodo hin und wieder einen kritischen Blick auf das Immergrün, das verdächtig stark mit Lametta und Engelshaar bedeckt war, wahrscheinlich um Unzulänglichkeiten zu verdecken. Sicher, der Baum war größer als der ihre, wie jedes Jahr eben, er war ja auch für mehr Personen gedacht, und wurde außerdem von den Großeltern mitfinanziert, aber schöner war er nicht.