Vom Lande: Regen und Hunde

Es regnet heute. Auf dem Land fließt das Land praktisch vom Land auf die Straße. Das Land ist der Acker und gleichzeitig die Masse, aus der er besteht. Erosion, sagt man in der Stadt. In der Stadt gibt es kein Land, das weggespült werden könnte. Das heißt dort Erde. Die Erde wird weggespült. Oder der Mutterboden. Davon gibt es aber nicht viel. Die meisten kennen das Wort nur flüchtig und gebrauchen es in alternativen Kreuzworträtseln. Lehm erodiert in dem Sinne nicht, er ist das Ergebnis von Erosion. Das was überbleibt eben.
Auf dem Lande geht niemand freiwillig zu Fuß, ausgenommen Zugereiste, die niemand wirklich ernst nimmt. Das Spazierengehen, das ohne Grund zur Erquickung von Körper und Seele stattfindet, ist verpönt oder wird kritisch beäugt. Da macht man sich seine Gedanken, wenn jemand einfach nur durch die Gegend geht. Wer das wirklich dauerhaft vorhat, der schafft sich einen Hund an. Der Hund ist der Grund, rauszugehen. Er ist vor allem der Grund, auch mal an Nachbars Grundstück vorbeizuschlendern und einen Blick in den Vorgarten oder durch die Wohnzimmergardine zu werfen. Ohne Hund wäre das neugierig. Mit Hund ist es fast unvermeidlich, denn irgendwohin muss der Mensch ja gucken.
Der Hund ist Grund, mit einem anderen Menschen zu sprechen. Da muss sich keiner ein Thema überlegen, wie der Smalltalk in Gang kommt. Immer Wetter, Wetter, das ist öde. Wenn beide einen Hund haben, ist das einfach, denn oft fangen die Köter an zu balgen oder zu bellen oder zu knurren, um sich dann ineinander zu verbeißen. Das Trennen der beiden Kontrahenten schafft Verbundenheit; lediglich wenn Fifi zu derbe Wunden abgekriegt hat, kann die freundliche Stimmung in Feindseligkeit ausarten. Dann wird gar nicht mehr gesprochen. Nicht mal gegrüßt. Geschweige denn, leicht genickt beim Vorüberschreiten. Es gibt Regeln. Ist der eine Hund zu groß, darf der andere nicht zu klein sein. Der größere darf niemals den kleineren als Essen betrachten. Begattungsversuche werden geduldet. Der eigene Hund sollte nicht den Nachbarn beißen; das muss dem Tier beigebracht werden. Der Nachbar darf keine herablassenden oder abschätzigen Bemerkungen über das Tier machen. Insgesamt wird geraten, lobend die Beweglichkeit der domestizierten Wolfsbastarde zu kommentieren, etwa wenn sie sich eine junge Katze gesucht haben, um der mal zu zeigen, dass man sich nicht nur aus der Dose ernährt. Hunde sterben in der Regel eines normalen Todes, weil sie etwas Rattengift gefressen haben oder vor ein Auto gelaufen sind. Gelegentlich tun sie dies auch aus Alterschwäche oder weil ein nervöser Waidmann sie für Schwarz- oder Rotwild, je nach Farbe des Hundes, oder für Hoch- bzw. Niederwild (je nach Größe) gehalten hat und daraufhin, um auch endlich mal zum Schuss zu gelangen, seinen Drilling entladen hat, nach vorn hinaus nämlich, durch das Rohr in Richtung Wild bzw. wildgewordenen Hund. Das ist dann auch die Begründung, dass der Treffer einen Hund erwischt: Der Hund ist wild geworden. Mein Hund ist nicht wild, sagt Flottmanns Henni. Der Hund ist Wild geworden, sagt der Waidmann, ohne den feinen grammatikalischen Unterschied zu bemerken. Der Leser mag schmunzelnd die Feinheiten der Groß- und Kleinschreibung bemerken und ebenso die dazugehörige kommunikative Schwierigkeit. Den Sprechenden wird sie entgehen.
So ist das häufig: Die Jäger schießen und die Menschen reden aneinander vorbei.
Heute regnet es. Da bleibt auch der Jäger lieber im Trockenen, und einen Hund schickt man nicht vor die Tür, es sei denn, er muss. Dann bleiben Frauchen und Herrchen im Haus, denn was sollte es in den Vorgärten und hinter den Gardinen schon zu sehen geben? Nichts, was nicht längst bekannt wäre.
Das Land schiebt sich braun und feucht vom Land und bleibt auf dem Asphalt hängen.
Zum Bild: Kleiner Hund und großer Hund. Es gibt feste Regeln, und die sollten eingehalten werden. Wackeldackel zählen auf dem Lande nicht als echte Hunde. Sie sollten auf der Hutablage eines Audi 80 bleiben.