Leserbrief(3): Literaturtipp

Lieber Bodo (bei der Anrede bleibe ich, ich habe als Frau sowieso einen schlechten Orientierungssinn, wie soll ich mich sonst in virtuellen Welten zurecht finden?)!Ich habe noch einen Literaturtipp (zum Wünschen oder Verschenken) für alle Vegetarier und Menschen, die sich noch intensiv mit Schlachterlebnissen in ihrer Kindheit beschäftigen: E.B.White, "Wilbur und Charlotte". Das Schwein Wilbur soll eigentlich, wie es sich gehört, geschlachtet werden, aber es freundet sich mit der Spinne Charlotte an, die beginnt, kunstvolle Spinnennetze zu weben, z.B. mit der Inschrift "Prachtschwein". Die Menschen glauben an ein Wunder, ihnen wird klar, dass man solch ein Schwein auf keinen Fall schlachten darf, weil man z.B. auf Ausstellungen Preise mit ihm gewinnen kann. Wilbur darf leben! Das kleine Mädchen Fern (bietet sich als Identifikationsfigur an) versteht, was die Tiere miteinander reden und weiß als Einzige, was im Schweinestall wirklich geschehen ist. Und ist natürlich überglücklich.Diese Geschichte lässt sich natürlich auch problemlos auf andere Tiere übertragen, z.B. auf Hühner: Das Huhn Eddi realisiert eines Tages, dass ihm mit einer Axt der Kopf abgeschlagen werden soll, doch da ist ja noch der kleine Wurm Kevin, der in den harten Boden des Hühnerhofes tiefe Furchen gräbt und dabei das Wort "Spiritual chicken" zustande bringt. Oder das Kaninchen Melanie, dem im November allmählich bewusst wird, dass sein Käfig eine Todeszelle ist, aber unerwartet Unterstützung von der Katze Winnie erhält, die in einer Nacht 30 Mäuse fängt und aus diesen den Schriftzug "Kuhles Kaninchen" formt (die mangelnden orthographischen Kenntnisses der Katze hätten Melanie fast doch noch den Tod gebracht, außerdem müssen in diesem Beispiel auch wieder Tiere sterben).Es sind erdachte Welten, Welten, in denen Tiere einander beistehen, in denen Menschen offen sind für Wunder und bereit sind, auf ihr Suppenhuhn oder das Schnitzel zu verzichten, aber schon der Glaube an diese Welten kann alte Wunden heilen und neue Vegetarier hervorbringen. Hier muss ich meinen Leserbrief beenden, denn ich muss dringend weiter nachdenken über die Welt der Vergangenheit und die Welt der Gegenwart, über reale und virtuelle Welten und ihre Schnittstellen. Und ich muss unbedingt meinen Bücherwunsch für Weihnachten notieren (ein vegetarisches Kochbuch).

Marion