Stacheldraht-Tattoo



Wie kann man sich einen Stacheldraht auf den Oberarm tätowieren lassen?, fragte sich Mathilde selber, als sie wieder zu Hause war. Aber der Tätowieret war nett gewesen, völlig übersät mit Bildern und hatte ihr sein schönstes Stück gezeigt: Einen Stacheldraht, der um seinen Bauch gewickelt war, und es schien, als sei eine ganze Rolle dabei draufgegangen. Er hatte ihr, nachdem sie den Draht einmal abgefühlt hatte, einen Sonderangebot gemacht. Hundert Euro die Rolle. Und diese Rolle wollte er ihr gern über den ganzen Körper verteilen. Ein Angebot, so günstig, dass man eigentlich nicht ablehnen konnte. Aber dass er da mit seinem Tintenstift auf ihrem ganzen Körper herumkritzeln sollte, war Mathilde dann doch zuviel. Ich nehme erst mal zwanzig Zentimeter, hatte sie gesagt.
Der Tätowierer hatte geschluckt. Darf ich mir die Stelle aussuchen?, war seine Frage.
Ja, sagte Mathilde, und wusste, dass sie aus dieser Nummer nicht mehr herauskam.
Dann den Oberarm, sagte der Bilderstichler, und Mathilde wunderte sich.
Das ist die schönste Stelle, ergänzte er.
Wenn du meinst. Mathilde war erleichtert, aber irgendwie auch geknickt. Die schönste Stelle. Was was das denn für einer? 
Mathilde betrachtete das Tattoo im Spiegel. Irgendwie erinnerte sie der Arm an Mauerfall. Und das war 23 Jahre her. Stacheldraht machte alt.