Es war nicht alles schlecht

Wir, die unwissentlich Überheblichen im Westen, dachten, dass die Menschen im Osten alle so aussahen, wie die Beamten an der Grenze: Mürrisch, hässlich, uniformiert, verbittert, entnervt durch übermächtigen Genuss von Kaffeeersatz und die Lektüre des Roten Morgen oder der Moskauer Nachrichten. Uns demütigten sie an der Grenze und fragten herrisch, ob wir nicht endlich mal aussehen könnten wie auf dem Foto des Personalausweises. Wir waren immer schon älter als unser Foto und verängstigt, dass wir jetzt zwei Stunden länger warten mussten, wenn wir die Grenzen überschreiten wollten und konnten nichts machen.
Im Inneren des östlichen Deutschlands, das damals durch einen Todesstreifen vom restlichen Land getrennt war, muss es aber wohl ganz anders hergegangen sein:
Die Menschen waren nicht mürrisch, nicht herrisch und nicht verbittert, sondern liefen, wohl wegen der höheren Temperaturen, dünn bekleidet herum und es war eine Freiheit da, von der die Westler träumen konnten. Wenn überhaupt. Denn eigentlich wussten sie ja gar nicht, was alles hätte möglich sein können und wovon sie hätten träumen sollen.
Die Frauen hatten Backförmchen auf dem Kopf und zeigten: Back mers an! Die Männer lieferten die Vorlage für die spätere Dieter-Bohlen-Frisur und konnte das Mädchenhafte in ihnen mal so richtig zur Schau stellen. Sie durften die Fäuste ballen und trotzdem Tränen in den Augen haben, weil sie sich im Spiegel betrachten mussten. Da es an BHs in der Ostzone, wie sie liebevoll jahrzehntelang genannt wurde, mangelte, durften die Frauen auch ohne auf die Straße, und dafür griffige Schulterpolster, die sich in Richtung Bauch strecken konnten, tragen. BHs waren imperialistische Luxusgüter, die niemand wirklich nötig hatte.
Unterhosen waren damals schon out, der String-Tanga, im Westen später als "Arsch-frisst-Hose" bekannt, war Standard. Und: Alle konnten zuhören! Denn sowohl die Mädchenfrisur der Herren als auch das spitzgescheitelte Backförmchen-Toupet der Damen ließen den Ohren ihre Freiheit. Hier lag kein Lauschangriff vor, hier hörte man auf die Stimme des Volkes oder der Partei, je nach dem, wer gerade etwas gerufen hatte.
Letztendlich ist die sozialistische  Revolution dann  an den Ketten vor der Lederbadehose der Männer gescheitert, bei der sich die werktätigen Frauen während der Herstellung verstrickt  haben mussten. Aber: Das Auge guckt mit. Und wo man nichts sehen kann, ist fühlen keine Schande.