An der Grenze wohnen

Überflieger Akademikersohn

Möllenhoff, Dr. Möllenhoff, stand immer mit verschnupfter Nase, rot und spitz, vor der Klasse und versuchte uns Latein oder Französisch beizubringen. Welche Sprache es damals war, verblasst heute hinter seiner sich immer wiederholenden Frage: Wohnst du an der Grenze? Du sprichst, als kämst du von der Grenze.

Was war ihm widerfahren, dass er diese Frage stellen musste, die Kritik an unserer Sprechfähigeit versteckte, die eigentlich keine Frage, sondern eine Antwort war: Du sprichst komisch, du bist dumm, wenigstens aber ungebildet, mit deinen Eltern kann es auch nicht weit her sein.

Wir beobachteten seine spitze, rote Nase und lauschten dem näselnd-verschnupften Ton seiner Stimme, ohne uns um den Inhalt zu kümmern. Allein die Frage nach dem Lebensort „Grenze“ blieb in uns haften und kehrte,  weil unbeantwortet, immer wieder in unserem Leben zurück. Da stand Dr.Möllenhoff in seinem grauen Anzug, unter dem er ein steif gebügeltes Oberhemd trug und einen unscheinbaren Schlips.

Sein  Sohn tauchte eines Tages auf, in der Klasse unter uns als Schüler der Lehranstalt. Er flog in den Pausen über den Schulhof, in einem imaginären Flugzeug, vielleicht einem Bomber. Wir lachten über ihn, denn wir hatten sonst nichts zu lachen. Wir freuten uns so, dass der möllenhoffsche Sohn sich verhielt, als lebte er schon lange an der Grenze. Er brummte und summte, so wie er sich das Motorengeräusch eines Bombers oder eines Transportflugzeugs vorstellte, manchmal imitierte er Geräusche von schwerem Geschütz, und irgendwann lachten wir nicht mehr, denn der Sohn flog und flog und flog.
Nicht einmal einen  Absturz simulierte er, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten.
Was musste er erlebt haben, dieser Überflieger eines Akademikervaters? Vielleicht stellte Dr.Möllenhoff auch zu Hause die immergleichen Fragen und dem Sohn blieb nichts anderes übrig, als davonzufliegen, sprachlos und unermüdlich.
Der Sohn half uns entspannt zu lächeln, wenn Dr.Möllenhoff uns seine Fragen stellte.
Doktor, Doktor, dachten wir, schau auf deinen Sohn!