Stecknadeln im Alltag

Keiner glaubt so richtig dran, aber viele tun es heimlich:
Endlich mal den Chef in der Hand haben, endlich mal alles zurückzahlen, was der in den letzten Jahren an Unverschämtheiten losgelassen hat, was er an Lohnerhöhungen versäumt hat und dass er Ingetraud jetzt zum dritten Mal hat abblitzen lassen.
Aus einer Krawatte vom letzten Betriebsfest gebastelt, hält Ingetraud die kleine Puppe in der Hand, die zwar nicht direkt wie der Chef aussieht, aber die Krawatte trägt wohl eindeutig seine DNA und das wird genügen.
Ein paar Stecknadeln aus dem Stoffresteladen am kleinen Schädel platziert, ein bisschen gedreht und gezupft, und schon wird dem Chef nach Apsirin oder härteren Betäubungsmitteln sein, um die drückenden Kopfschmerzen loszuwerden.
Natürlich ahnt er nicht, dass nicht das letzte Bier vom Vorabend oder der Rotwein, den Mockers vor zwei Jahren zu seinem 55. geschenkt haben, schuld ist. Natürlich glaubt er an eine vorübergehende Unpässlichkeit. Aber Ingetraud weiß: Sie hat die Knöpfe in der Hand, bzw. die Köpfe, den kleinen mit der DNA und die ganz kleinen an den Stecknadeln. Ein einfaches Rezept: Ein bisschen DNA und ein paar spitze Gebrauchsgegenstände, schon kann die kleine private Rache starten. Komisch dass auch Gundi über die gleichen Schmerzen klagt. Von Gundi, die sich ständig an den Chef heranschleimt, hat Ingetraud doch gar keine DNA.
Obwohl: Verdient hat sie's auch.
Ingetraud drückt noch einmal auf Nadel drei und lächelt zufrieden: Mal sehen, was der morgige Tag bringen wird. Akupressur soll ja auch helfen und da kommt ihr vielleicht der VHS-Kurs aus dem letzte Semester zugute.