Karl-Friedrich "Khalef" Motzke: Aus meinem Campingtagebuch - 9/ Bedürfnisse

Wohin mit dem Kind, wenn es mal muss, und die Toilette ziemlich weit weg ist? Der Kleine quengelt, die Mutter zerrt ihn vor einen Baum am Nachbarplatz, reißt die Hose runter und lässt den Knirps einen warmen Strahl an die Pappel plätschern. Im Zelt hinter der Pappel ist alles ruhig, die Bewohner schlafen noch, im Traum wird die Pinkelaktion als Pladdern eines Tischspringbrunnens, wie er in den Sechziger Jahren aus durchsichtigem gelbem oder grünem Kunststoff üblich war, in den Traum eingebaut. Wohnzimmeridylle als Hüter des Schlafs.

Der Nachbar ist bereits aktiv. Es ist zwar Pfingsten, aber der Mann hat einen sächsischen Akzent und ist wahrscheinlich Heide. Die SED hatte es ja damals nicht mit der Kirche.
Heute will er seinen Wohnwagen tapezieren; der sei schon über zwanzig Jahre in seinem Besitz und da seien doch einige unschöne Stellen, die es zu überdecken gelte. Ob wir etwas dagegen hätten, wenn er ein paar Bohrungen vornähme? Solange er nicht in den Boden auf unserem Stellplatz nach Wasser bohre, gehe das in Ordnung. Die leichte pfingstliche Ironie scheint ihm zu entgehen.
Am Pinkelfleck summen die Fliegen. Die Zeltbelegschaft ist aus dem Zelt gekrochen und räkelt sich. Vom Abschlagen des kindlichen Wassers auf Mutters Geheiß weiß sie nichts. Fröhlich klappt die kleine Gesellschaft ihren Campingtisch auf, um zu frühstücken.
Der Sachse hat seinen Tapetentisch links von uns aufgebaut und streicht klumpigen Kleister auf das Papier, dessen Farbton mit "Gilb" umschreibbar wäre.
Später hören wir Bohrungen aus dem Wohnwageninneren. Morgen wird er übel riechende Rostschutzfarbe auftragen, um Problemzonen am Wagen vor dem Verrotten zu schützen. Dann wird ja Pfingstmontag sein, und da wurde im Osten immer gearbeitet.
Derweil hat sich beim Kleinen erneut Wasser gesammelt. Die Mutter führt ihn diesmal zum WC, denn der Nachbar frühstückt.