Die Woche danach: Landtagswahl in NRW

Mutti, sei nicht enttäuscht, ich habe dich am Muttertag nicht gewählt, obwohl du so milde und ein wenig depressiv von den Wahlplakaten an den Bäumen gelächelt hast.
Ich weiß, dass ich dich damals schwer enttäuschte, als ich aufgehört hatte, einen Knick in die Sofakissen zu drücken, damit es ordentlicher aussah, als ich angefangen hatte Widerworte zu geben, weil deine Meinung irgendwie doof war. Was sollen die Leute nur denken?, hast du gefragt, denn meine Haare waren zu lang.
Heute lächelst du vom Plakat, obwohl die Wahl gelaufen ist.
Ich danke meinen paar Wählern, müsste jetzt quer über das Foto geklebt werden.
Wird es aber nicht, weil man sonst dein sanftes Gesicht nicht sehen könnte.
Gestern sah ich dich in einem Café und hielt dich erst für deine Mutter. Dann aber wusste ich: Die Enttäuschung hatte tiefe Furchen in dein Gesicht gegraben und du hattest wohl geweint, denn um die Augen rum wirktest du verquollen. Du hattest etwas zuviel Schminke aufgelegt, besonders dieses flächige Umbra, das ich nicht an dir mag, um die Folgen deiner bittersten Stunden zu überdecken.
Sofort stellte sich mein schlechtes Gewissen ein. Du tatest mir so leid. Ich tat mir leid. Ich fühlte mich schuldig, und das wollte ich doch nicht mehr.
Trägst du übrigens eine Perücke oder ist das echtes Haar?
Du, es gibt schon schöne Spiegel für den Morgen danach. Die arbeiten mit Photoshop und es gibt sogar feste Programme, die einem die ersten Minuten nach dem Aufstehen erleichtern.
Da kannst du wählen zwischen "Die junge Madonna", "Sofia Loren mit zwanzig", Marilyn Monroe nach einer Nacht mit JFK" und "Inge Meysel nach der Führerscheinprüfung".
Ach, Liebe, ich hoffe auf die nächste Wahl und dein liebes Gesicht von den Bäumen blickend. Und du wirst dann so schön und so traurig und so enttäuscht aussehen wie in diesem Jahr.
Übrigens: Photoshop ist wirklich klasse. Und gar nicht so teuer. Vielleicht kann dir das auch jemand brennen.