Vom Lande: Der sieht gesund aus

Wenn man auch auf dem Lande mittlerweile Bluthochdruck und die damit zusammenhängende Rotgesichtigkeit, besonders bei Männern, als Krankheit akzeptiert hat, so hält sich nach wie vor die alte Einschätzung: Der sieht aber gesund aus. Der hat aber eine gesunde Gesichtsfarbe. Wenn heute der bleichgesichtige Magerkerl, der sagt, er sei Vegetarier und seine Rostbratwurst oder das gegrillte Schweinenackensteak nur heimlich konsumiert, als Vorbild von den meisten Ärzten propagiert wird, dann entspricht das immer noch nicht der landläufigen Vorstellung von Gesundheit. Der ist nicht dick sondern stattlich, heißt es hier und dort. Zur Großleibigkeit gehört auch ein großer Kopf und der ist rot. Das Rot erinnert an die roten Bäckchen der Kinderzeit und die Leibesfülle ist als Ideal den mageren Jahren nach dem Kriege entlehnt. Die Annahme, ein rotes Gesicht sei ein Zeichen für Gesundheit, unterstreicht der eine oder andere mit dem täglichen Konsum einiger Schnäpschen, die dieses rote Gesicht, auch langzeitig, fördern und erhalten. Die dem Großkopf angetraute Dame ist häufig wohlgenährt und trägt zur Stabilisierung des Leibes und dessen Glieder Mieder und Gummistrümpfe. Im Trend der Fitnesswelle liegt die fortschrittlichere Damenwelt mit einer Turngruppe, in der manchmal noch schwarze Stoffturnschuhe mit gelben Sohlen getragen werden und schwarze köpernahe Turnanzüge aus dem in den 60er Jahren erfundenen Plastikmaterial Helanca. Übungsleiterscheine gibt es nicht. Geturnt wird, was in der Volksschule gelehrt wurde. Diese Übungen werden den körperlichen Bedingungen angepasst. Die Übungsleiterin muss nicht besonders schlanke Qualitäten haben, sondern gute organisatorische. Die Veranstaltung ist lustig, und häufig gibt es etwas zu essen oder zu trinken für zwischendurch und hinterher, meist, weil irgendwer Geburtstag hatte. Turnen ist ein schöner Grund, aus dem Haus zu gehen, um Kuchen zu essen und einzwei Saure Paul oder Persico zu trinken. Regional ist die Bezeichnung der Getränke unterschiedlich, die Mischung ist gleich: Basisstoff ist Korn, dem wird etwas Süßliches oder Süßlich-Saures beigemengt.

Krankheiten haben etwas Naturgesetzliches, so als seien sie von oben erlassen, gottgegeben; sie werden als normaler Bestandteil des Alltags akzeptiert, an denen nichts zu ändern ist. Die seit Jahrzehnten bewährten Lebensumstände werden nicht in Frage gestellt, denn sie haben sich ja bewährt. Die körperliche Indisponiertheit ist Schicksal. Unveränderbar. Hinnehmbar. Annehmbar. Damit lebt man. Und das nicht schlecht. Im Notfall wird mit Wacholder, für die Männer, und Persico oder Ersatzstoffen, für die Frauen, beruhigt.
Bodo hatte als Kind gedacht, dass Löcher in den Zähnen zu einem normalen Gebiss gehörten. Blendend weiße Zähne, wie sie hinterher die Werbung propagieren wollte, waren ihm fremd. Mutti, Mutti, er hat gar nicht gebohrt! Dieser Werbeslogan gehörte noch der Zukunft an. Dr. Martin hatte aus Sachsen rübergemacht und forderte Bodo zum Mundöffnen auf: Weit ääufmochen! Bodo wusste, dass jetzt der Bohrer angesetzt wurde, um ein Loch zu schaffen, in das Amalgam geschmiert wurde. Sehr gesund. Zahnärzte hatten Freude an Schmerzen anderer. Damit verdienten sie sogar gutes Geld. Bodos Verhältnis sowohl zu Zahnärzten als auch zu Geld sollte dadurch lebenslang gespannt bleiben.

Um gesund auszusehen, was wichtiger ist, als es auch wirklich zu sein, reicht es seit einigen Jahren nicht mehr, einen roten Kopf zu haben. Das Bild hat sich gewandelt.
Braun ist die Farbe der Wahl. Braun ist das Synonym für Erholtsein, Gutdraufsein, Fitness und Gesundheit. Dazu ein makelloses Gebiss! Endlich hat sich durchgesetzt, dass gesunde Zähne keine Löcher haben!
Die Sonne auf dem Lande schient bescheiden in diesen Breiten.
Um die gesunde Bräunung zu erreichen, gibt es Einrichtungen, in denen gegen Münzgeld gespeicherte Sonnenstrahlen gezielt auf den ganzen Körper geschossen werden, um schließlich beim Betrachter die Zauberworte auszulösen: Die sieht aber gut aus! Der sieht aber gesund aus!
Manche Sonnenbankbenutzer verkennen, dass der Zusammenhang von Bräune und scheinbarere Gesundheit sich nicht endlos steigern lässt. Ab einer gewissen Wirkintensität, die sich aus Strahlungsstärke, Zeit des Beschusses und Zahl der Wiederholungen sowie Länge der Pausen zwischen den Anwendungen ergibt, wird aus einer guten Bräune eher eine Brutzeligkeit, die an das Aussehen von halben Hähnchen erinnert, die zu lange im Grillautomaten verweilt haben. Die Haut des zerteilten Geflügels zeigt dann jene Knittrigkeit, die dem Esser erleichtert, an das weiße Fleisch zu kommen. Angesichts überbratener Sonnenbankbenutzer fürchtet der Betrachter, dass sich Letztere beim Kratzen der juckenden Wange gleich die ganze Kopf- und Gesichtshaut vom Schädel reißen. Trotzdem hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der Grad der Bräune im umgekehrten Verhältnis zu Schlaffheit, Krankheit und Stress stehe.
Auf dem Land ist die Zeit nicht stehen geblieben.
Die meisten haben erkannt: Gummistrümpfe und fleischfarbene Mieder sind unsexy und ein roter Kopf muss nicht gesund sein.
Braune Haut dokumentiert, dass der Träger vielleicht gern in Urlaub fahren möchte, aber nicht kann. Oder er möchte dem Fitnesspapst Dr.Strunz ähneln, dessen Lachen in seinem bronzierten Gesicht an ein aufgebrochenes Fischstäbchen erinnert. Grillgesichter lassen ahnen, dass der rote Kopf einfach zeitgemäß überbräunt werden sollte. Dabei ist manchmal auch dessen Inhalt verschmort.
Was gesund ist, muss nicht unbedingt gesund aussehen. Oder umgekehrt.