Probleme: Lange Menschen

Der lange Mensch wird gern bewundert und weiß nicht recht, ob er sich darüber freuen soll. Das Leben, das ihm vom Schicksal und den Genen in die Wiege gelegt wurde, ist nicht einfach. Es fängt damit an, dass im Schuhgeschäft die Regale bei Schuhgröße 45 plötzlich verschwinden oder nur noch mit Ladenhütern à la Elbkahn oder Kindersarg in Kunstlederausführung bestückt sind. Dabei trägt der lange Mensch gern auch große Schuhe, oder solche, die seinen Füßen entsprechen. He, Langer, komm du mal her, hat es in der Schule schon geheißen, der Lange war immer schnell erkennbar, denn sein Kopf ragte aus der Menge. An irgendetwas musste der Pädagoge der frühen Sechziger sich ja orientieren, denn die Nachkriegszeit hatte das nicht ermöglicht, sondern eine durch den Zweiten Weltkrieg ins Wanken geratene Kreatur allein gelassen. So konnte sich der Schulmeister nur der überdurchschnittlichen Minderheit widmen und sich an ihr abreagieren. Der Kleine war derweil unter der Schulbank oder unter dem Mattenwagen in der Turnhalle verschwunden. Der lange Mensch trägt meistens zu kurze Hosen und einen zu kleinen Hut, dabei wirkt sein Kopf im Verhältnis zum Körper eher winzig, weshalb man dem Langen eine mindere Intelligenz zuschreibt. Das hat natürlich Auswirkungen auf seine Psyche, so dass der Aufgeschossene aufgegeben hat, sich immerzu zu profilieren. Er hat sein Gemüt, sein Hirn und sein ganzes Tun seinem Gesichtsausdruck angepasst, und der ist aufgrund gesellschaftlicher Ächtung eine Mischung aus verächtlich, wohl aus Selbstschutz, und dümmlich, wohl um nicht weiter auf sich aufmerksam zu machen. Selbst im Fußballstadion knallt gerade dem Langen ein Ball an den Kopf, während der Kleine eine neue Flasche köpft und sich das schäumende Gebräu in den Schlund gießt. Die Welt ist nicht gerecht, denkt der Lange, und sieht auch noch seine Mannschaft verlieren, die eigentlich aus kleinen drahtigen Burschen besteht und hätte gewinnen müssen. Na ja, letztlich hat der Soldatenkönig in Preußen schon die langen Kerls ausgehoben und zur Dekoration in seiner Nähe stehen lassen. Später wurden sie von einer bekannten Würstchenfirma zu Bockwurst in zarter Eigenhaut verarbeitet und landeten in der Dose. Ein unschöner, aber doch konsequenter Weg.