"Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Rote Mülleimer-Meditation

Ich sitze auf der Parkbank. Die Füße tun mir weh, meine Schultern schmerzen, mein Tennisarm meldet sich, obwohl ich gar kein Tennis spiele. Die Sonne quält sich durch den Spätsommerwald. Eigentlich eine Zeit der Ruhe, des In-Sich-Gehens, der Nachdenklichkeit ohne Schuldgefühle, des Annehmens der Unzulänglichkeiten des Seins. Erschöpfung. Wie nach einem erfolglosen Sommerschlussverkaufstag. Glückliche Enttäuschung. Nicht schon wieder unsinniges oder hässliches Zeug gekauft, das die Regale vollstopft. Das Kreuz vor mir, aus Sandstein, Sinnbild für die Vergebung der Sünden. Der Mülleimer. Sinnbild für das Überflüssige. Für das Endliche, das vergehen muss, das verwesen muss. Roter Mülleimer. Ich atme tief ein und konzentriere mich. Ich bin im Mülleimer. Ich atme erneut tief ein und weiß: Eine Biotonne. Eine LEBENStonne. Hier gehört das Leben hinein, wenn es ausgehaucht hat, wenn es nicht zuckt und pulst und strampelt. Wenn es zur Ruhe gekommen ist. Ich betrachte meine Hände. Das Rot des Mülleimers wird dort gespiegelt. Rote Haut. Rothaut. Alle Indianer der Welt sind plötzlich um mich herum, sie sind in mir, ich bin in ihnen, wir sind eins. Rassismus, schießt es mir durch den Kopf. Was ist mit den braunen, den schwarzen, den grünen, den blauen Mülltonnen? Warum stehen die nicht hier? Warum dieser rote? Keine Antwort. Das Kreuz und der rote Mülleimer. Eine Wortfolge wie der Titel eines Krimis, eines nordischen Krimis. Die Schwalbe, der Fuchs und der Dampfdrucktopf von Hakan Nessy etwa. Das Huhn, die Möwe und die Bremer Stadtmusikanten. Ach, meine Gedanken schweifen ab, ich bin nicht mehr bei mir, wo ich doch sein sollte, die vielen Indianer sind nicht ohne, die Schlacht am Little Big Horn und dahinten Winnetou mit seiner Silberbüchse. Die Tränen steigen mir in die Augen. Ich bin unendlich traurig, dass eine stolze Rasse verschwinden musste, weil es Weiße so wollten. Der Amerikaner. Uns hat man früher gezwungen, Amerikaner süß zu finden. Sie waren süß, zu Zeiten, als wir noch keine Hamburger kannten. Kuchen eben. Als positive Verbindung mit dem Amerikaner im Allgemeinen. Wie gemein. Wie plump. Genau wie Dr.Oetker, der uns in der Volksschule seinen Pudding servierte. Wir glaubten, Dr.Oetker sei ein freundlicher Arzt, der uns zum Aufbau der Knochen etwas Stärke mit Zucker und Farbstoff servierte, dabei war das schlichte Werbung. Kaufenkaufen!, war die Devise.
Ich öffne den Deckel des roten Mülleimers und ziehe mich aus dem Roten heraus. Genug der heulenden Pfeileschießer, genug der verwundeten Knie und der kleingroßen Hörner. Custer, der Arsch! Ich weiß nicht, was soll es bedeuten? Ein roter Mülleimer hinter einem Sandstein-Kreuz.
Hände fest, tief durchatmen, Augen auf! Ich bin wieder voll und ganz im Hier und Jetzt!