"Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Durcharbeiten (Meditation)

(Foto: Sonntags um drei. Mal wieder nichts passiert. Selbst die Wachhäuschen stehen leer.)
Sonntags um drei in deutschen Wohnstuben: Depression. Morgen ist Montag, das Wochenende neigt sich dem Ende(!) zu, ein flaues Gefühl macht sich im Magen breit. Shit, denkt mancher Beamte, morgen geht der Zirkus wieder los, Shit, denkt der Fließbandarbeiter, morgen wieder ins Hamsterrad. Schnell wird noch ein Bier gekippt, um den Niedergang der Stimmung zu kompensieren. Was passiert da? Schlechtes Gewissen stellt sich ein, weil am Wochenende außer Fernsehen nichts passiert ist, weil die Erholung nicht geglückt ist, weil alles so ist wie immer, nur dass die Arbeit fehlte.

Da sind wir auch schon an der Wurzel des Unheils angelangt. Fünf Tage haben wir durchgearbeitet, plötzlich, zwar erwartet, aber doch plötzlich, als ob ein japanisches Gemüsemesser eine Gurke zerteilt, ist die Trennlinie da: Hier die Arbeit, da das Wochenende ohne Perspektive. Anfangs euphorische Gemütsbewegung, ah, jetzt ist das Wochenende am längsten, jetzt haben wir noch alles vor uns, aber.....eine dunkle Stimmung kriecht vom Bodenbelag an den Baumwollstrümpfen über die Kniescheibe durch die Unterhose zum Solar Plexus, dahin, wo unsere Mitte sein sollte, unser Ruhepol. Die Uhr tickt, mit jedem Zeitzählgeräusch schrumpft die Freizeit und damit die Chance, sich zu erholen, zu regenerieren, aufzutanken, Lebensmut zu schöpfen für die nächste Arbeitswoche. Die Depression ist da: Freizeitschmelze, Leere und fehlende Ideen, etwas mit der Zeit anzufangen, außer darüber nachzudenken, dass sie abläuft, sind ihre Zutaten.
Die Lösung ist einfach: Wie eine ständig wiederkehrende Bewegung einen Menschen in Trance versetzen kann, in der er sich vom Alltag entfernen und Kontakt mit seinem höheren Selbst aufnehmen kann, so geht das auch in der täglichen Arbeit. Das Stampfen der Maschinen kann Mantra sein, der Korrekturstift wird zur Gebetsmühle, wenn er in ewigem Gleichmut und immerwiederkehrenden Bewegungen über den fehlerhaften Text gleitet, das Glockenhelle der Kinderstimmen in der 6a ist die Klangschale des Alltags, die fein in uns resonieren kann. Das Übliche, das Gewöhnliche, das Normale einmal anders sehen, hören, fühlen, spüren; aus jedem Wort, das an uns gerichtet wird, ein Mantra machen, und uns dann tief versenken, in unserem innersten Brunnen Ruhe schöpfen, sie in uns vergießen, strömen lassen und weiter machen, unaufhörlich, ohne Pause, immer und immer weiter, bis die Ruhe uns überwältigt hat, bis die Ruhe die Herrschaft übernommen hat, bis wir selbst Ruhe sind. Wir sind Ruhe. Ich bin Ruhe. Vollkommene Ruhe. Dann wird es Zeit für einen kleinen Urlaub. Aber bis dahin heißt es: Durcharbeiten.

Wenn am Montag die Motoren wieder knattern, steht uns der Frust vor der Unterlippe und will sich rauskotzen. Das Wochenende war mal wieder voll daneben, ohne Effekt, ohne Erfolg