Günter Krass: Schwimmend im roten Kleid

Neulich schwamm eine Frau neben mir in einem roten Kleid, ganz entspannt, ihr Blick entrückt, ihr Mund leicht geöffnet, als wolle sie einem Schluck Wasser Einlass in ihren Körper gewähren.
Ich grüßte freundlich, denn es ist doch recht selten, dass mir eine Frau schwimmend in einem roten Kleid begegnet.
Sie schwieg und reagierte nicht auf meinen Gruß.
Ich war anfangs konsterniert, doch dann besann ich mich.
Vielleicht war es Treibgut, das mir begegnet war und ich rief fröhlich: Treib gut!
Ich war begeistert von diesem Wortspiel und dachte weiter, dass das Treibgut vielleicht zu Strandgut werden könne, wenn es irgendwo an ein Ufer triebe.
Da ein fröhliches "Strand gut!" kein glückliches Wortspiel war, murmelte ich nur, fast unhörbar und dachte: Wenn ich dieses Treibgut als Strandgut fände, ob die Situation vielleicht ausuferte?
Ist denn nicht das Treibgut dem Triebe so nah, lassen sich doch beide Nomen vom selben Verb ableiten?
Wenn ich das Wasser ableitete in Kanäle und Senken, bliebe dann die Frau im roten Kleid, so nass wie sie war, bei mir?
Als ich aus dem Sinnieren in die Wirklichkeit zurückkehrte, war die Rotbekleidete bereits abgetrieben, sodass ich nicht mehr in der Lage sein würde, sie zu packen und an Land zu ziehen, sondern sie ein weiteres Opfer des Großen Wasserfalls werden würde.
Da sah ich sie auch schon im Schwall nach unten sausen; ein letztes Rot blitzte noch kurz auf, vielleicht um meinen Gruß doch noch zu erwidern.