Missverstandene Kunst, missachtete Künstler


Sein Kunst war speziell.
Er konnte sich blitzschnell in eine Rakete verwandeln und damit Umstehende, besonders Frauen, die an seiner speziellen Form interessiert waren, beeindrucken.
Zufällig hatte er diese ihm eigene Kunstfertigkeit bemerkt, als er in den Sechzigern die Mondlandung vom Start an verfolgt hatte. Mit einem dicken Filzstift hatte er sich die Abkürzung NASA auf die Stirn gemalt und sein astrophysikalisch eher uninteressierter Bruder, der zufällig hereinkam, hatte laut gerufen: He, du siehst ja aus wie eine Rakete.
Von da an versuchte er seine spezielle Kunst zu verfeinern.
Es gelang ihm mehr und mehr,  Menschen an ungewöhnlichen Orten zu suggerieren, er habe etwas mit einer Rakete gemeinsam. Es war an Bushaltestellen, in Kinos, auf Parkplätzen, des Nachts im Park oder vor Bars und Supermärkten. Pyrotechnisch hatte er den Eindruck durch ein Feuerwerk unter seinem Trenchcoat verstärkt und immer wieder versucht, den Schriftzug NASA nur durch den Faltenwurf seiner Stirn zu bilden.
Daran war er bisher gescheitert und er benutzte seinen guten alten Edding, der sich schon in die Haut gefressen hatte und er nur noch den Schriftzug nach dem Zähneputzen nachziehen musste.
Eine Zeitlang hatte er überlegt, zum Tätowierer zu gehen, aber dann wäre die Frage unbeantwortet geblieben: Was mache ich mit dem Schriftzug, wenn ich ihn wirklich ohne Farbe, nur mit den Stirnfalten nachbilden kann?
So waren Jahrzehnte ins Land gegangen und immer noch fand er unbekannte Orte und Menschen, die seine Kunst noch nicht kannten.
Leider war es eine brotlose Kunst geblieben, von der er nicht leben konnte. Seine Eltern hatten ihn lange unterstützt, dann waren sie gestorben. Von der Grundsicherung konnte ein freischaffender Künstler nicht leben und so setzte er sich vor den Bahnhof und stellte eine Dose vor sich auf. 
Ja, er hatte sich auf eine Stufe begeben mit den Gestrauchelten der Gesellschaft, und mittlerweile machte es ihn traurig, wenn Passanten sagten: Sieht aus wie eine Rakete und sitzt und bettelt. Sollte man auf den Mond schießen. Wär doch eine sinnvolle Beschäftigung, und der würde hier unten nicht den Sauerstoff vergeuden.
Manchmal fragte eine Frau dann zögernd: Aber der Schadstoffausstoß? Wieviel Tonnen CO2 werden denn da wieder in die Luft geblasen?
Schadstoffausstoß hat der hier unten auch, sagte dann der Mann.
Es machte ihn traurig, dass Kunst missachtet wurde, weil sie niemand verstand.
Geknickt sammelt er dann seine Münzen aus der Dose und kaufte sich eine Flasche Treibstoff, denn er würde nie aufgeben. Eines Tages, eines Tages!, das sagte er sich immer und lächelte still.