Das letzte Blatt

Vladimir Kannikski: 500 Blatt (234.) (2012)

Das letzte Blatt wollte nicht fallen.
Die Gespräche des Sommers waren vorüber.
Das letzte Blatt  hatte sich immer für etwas Besonderes gehalten, hatte immer gedacht, dass es eine besondere Aufgabe hätte.
Der Baum sprach zu ihm: Lass dich endlich fallen, es wird Zeit!
Das letzte Blatt klammerte sich an seinen Zweig und glaubte fest, dass das Leben ihm noch eine Aufgabe zuweisen würde.
Lass dich nicht hängen, sagte der Baum, deine Aufgabe ist es, dich fallen zu lassen, und zwar zur rechten Zeit. Jetzt.
Ich lasse mich nicht hängen, ich bin für etwas Besonderes bestimmt, jammerte das Blatt.
Ein starker Herbststurm kam.
Er riss den Baum mit seinen Wurzeln aus dem Boden.
Der Baum stürzte und mit ihm das Blatt.
Der Stamm drückte das Blatt schwer und unerbittlich in das Laub, das bereits seit Tagen die Erde bedeckte.
Na, endlich!, wisperte das Laub.
Das letzte wird das erste sein, flüsterte das Blatt, denn der Sturz hatte es erschreckt.
Sei jetzt ruhig!, zischte das Laub, jetzt, wo du endlich da bist, können wir Winter werden.
Langsam breitete sich Schweigen über dem Wald aus.