Günter Krass: Oma Rudolf räumt auf (2000)


Oma Rudolf kann nichts liegen sehen. Sie hat den unverständlichen Drang, alles aufzuräumen, wie sie es nennt. Dabei liegen Sachen nicht einfach herum, sondern sind nach einer ganz bestimmten Idee geordnet. Der Plastiktrecker im Wohnzimmer steht da, weil das Wohnzimmer der Acker ist und der muss gepflügt werden. Der Stoffhund ist eigentlich ein Pferd, das macht sich neben einem Acker immer gut. Der Brummkreisel ist eine Ballenpresse, und die braucht jeder Bauer, der sein Heu oder Stroh pressen will. Vor allem braucht er sie vor dem nächsten Regenschauer. Der Rollschuh ist ein Anhänger und die Buntstifte sind Weidezäune, alles Sachen die zu einer ordentlichen Landwirtschaft gehören. Dafür hat Oma Rudolf kein Verständnis. Sie räumt auf. Jeden Tag, jede Stunde. Nur weil sie mit im Haus wohnt und meint, alle müssten ihre Ordnung verstehen.
Und natürlich, weil sie irgendwann oder vor ein paar Tagen auf dem Anhänger ausgerutscht ist. Dabei hätte sie doch sehen müssen, dass das ein Rollschuh ist!