Günther Krass: Erinnerungen - Maggi war unsere Würze

Zu jedem Essen gehörte es dazu, diese leise Oinkoinkoink, das die Maggi-Flasche machte, wenn der Esser sie rhythmisch Richtung Teller bewegte, um dem Mahl den richtigen Geschmack zu verleihen. In Maggi setzte jeder Vertrauen, Maggi konnte das Geschmacklose auf ein hohes Niveau bringen, unvorstellbar, ein Gericht ohne Maggi gekocht zu haben. Maggi war ein Muss.
Heute runzelte der angebliche Feinschmecker die Stirn, wenn die Hausfrau eine Flasche Maggi in der Küche stehen hat oder gar mit an den Tisch bringt, an dem gegessen werden soll. Maggi ist wie Tütensuppe, etwas für Banausen, für Grobschmecker, für Leute, die immer noch Hühnersuppe kochen oder Buchstabensuppe aus der Pappschachtel. Der Gourmet würzt dezenter, möglichst ohne Salz, weil der Blutdruck zu hoch ist, mit erlesenen Kräutern, die das fehlende Salz kompensieren sollen. Steht der Teller dampfend und kaum gefüllt auf dem Tisch, dann trennen sich Spreu und Weizen. Der eine löffelt die Suppe in kleinen Portionen, schlürft unhörbar, um zu zeigen, dass er seine Geschmacksnerven reizen möchte, um das volle Aroma aus der Nahrung zu lutschen, schiebt immer wieder ein "Ah, lecker!", "Ah, wunderbar!" oder "Ah, exzellent!" dazwischen, blickt dabei zur Hausfrau und nickt anerkennend. Das ist der Weizen. Die Spreu schielt nach dem Salz und beginnt eine großsprecherische Rede über Kochen, vor allem über andere Gerichte, die gerade nicht auf dem Tisch stehen und wie gut diese bei richtiger Kompostion der Zutaten schmeckten. Ist er sich sicher, dass die Essgemeinde an seinen Lippen hängt und lauscht, greift er zum Salz und kräftig zucken seine Hände über dem Mahl, das er nicht einmal probiert hat. Eine Beleidigung für Koch oder Köchin, denn die Speise wird nicht nur gerügt, sondern ihren Herstellern attestiert, dass sie per se von richtigem Würzen nichts verstehen, so als sei das ein Charakterzug. Auf Maggi verzichtet die Spreu, weil es ein verräterisches Geräusch macht. Wir aber, die wir dieses Geräusch lieben, denken in Ehrfurcht und Liebe an die vielen Hühnersuppen mit Eierstich, die die Flaschenwürze in unserer Kinderzeit veredelt hat.