Führungsstile - Digital oder analog?

Knigge ist tot. Das wohl auch schon länger. Anfangs hatte man mit dem sofortigen Verfall der Sitten gerechnet, aber dem ist wohl nicht so. Dennoch: Wir essen zwar immer noch mit Messer und Gabel, wir stehen immer noch im Bus auf, wenn ein altes, einbeiniges Mütterchen ihre Plastiktüten durch den Gang schiebt, wir helfen der Angebeteten gern aus dem Mantel und sprechen die Ehefrau mit „Ey, Hasi!“ an, obwohl wir etwas anderes denken, aber in anderen Bereichen sind solche Benimmlichkeiten nicht konserviert, und niemand weiß, wer hier korrigierend und dirigierend einschreiten könnte. Wo könnte man den aktuellen Stand der Diskussion nachlesen, wo nachschlagen, wie man sich Untergebenen gegenüber verhält, was eigentlich im Zuge der Neuen Zeit nicht nur angemessen sondern auch notwendig ist, um einen Produktionsbetrieb, welcher Art auch immer, zu höchsten Effektivität zu bringen?
Ist es noch in Ordnung, seine Meinung klar zu formulieren und sie anordnend mit scharfer Stimme und vielen Worten, den Widerspruch verhindernd, zu intonieren? Der Ton macht die Musik, und die ist im 20.Jahrhundert ja auch nicht gerade schön. Ist es angemessen, die digitale Sau rauszulassen, den machohaften Führungsstil zu pflegen, den besserwisserischen weil besserwissenden, der mundtödlich wirkt, der schnell und direkt ist, in Krisensitutationen die einzige Möglichkeit bietet, satt zurückzuschlagen, dem Feind keine Chance zu lassen? Die Bundeswehr jubelt bei der Rückkehr dieser immer wieder belächelten bzw. heimlich zu Hause beweinten Art der Demotivation: Handeln aus dem Druck der Übermacht heraus. Holzhammermotivationen!
Oder hat der Neue Manager endlich nach Selbsterfahrungskurs in der Schwitzhütte und anschließendem Sonnentanzritual, das Pfeifchen locker im Mundwinkel, kapiert, dass der Neue Untertan in den Arm genommen werden will? Er soll die Große Mutter, die Allesgebärende spüren, soll seine Motivation von innen erhalten, soll schöpferisch und empfangend zugleich sein, sich verbinden mit der Natur, sein Seelenheil gerettet wissen, und wacker seine Arbeitskraft einsetzen, unermüdlich schaffen mit entrücktem, verzücktem Lächeln, wie in Trance seine Listen ausfüllen, seine Dinge gestalten, mit dem Gefühl, in seinem Vorgesetzten die Manifestation des Guten gefunden zu haben, der seinem Leben den rechten Sinn geben kann. Nicht die Maske, nein, die Göttin dahinter ist das Objekt der lebensgestalterischen Begierde. Ist denn das so schwer zu verstehen?
Das letzte Führungskräfteseminar verschlafen? Ist es immer noch nötig, in diese spätmittelalterlichen Show- oder Schaukämpfe zu verfallen? Wer ist der stärkste im ganzen Land? Ich fahr ihm übers Maul, dann weiß er, woran er ist! Der dürftige Inhalt wird durch die Form kaschiert. Das ist die preiswerte Methode jeder Talkshow. Wetten, dass ich das schaffe? Dass ich das durchsetze? Die werden schon sehen! Nur: Falsches wird durch Lautstärke oder penetrante Wiederholung nicht richtig. Eine Hoffnung, ein Trost: Wahres bleibt trotz ständiger Wiederholung, trotz Leise- und Lautstärke, trotz Lautschwäche sogar, immer wahr. Die Wortgewalt entlarvt sich als Schwäche, als hilfloser Versuch, überhaupt eine Frage zuzulassen, die das schwankende Gerüst der Argumentation zu Fall bringen könnte. Wie wir miteinander umgehen, lässt auch auf unser Innenleben schließen. Wer den Schwachen angreift, kann sich keinen Stärkeren leisten, muss sich als Schwacher einen scheinbar Schwächeren suchen, um sein Selbstbild zu polieren, um sich selbst zu erhöhen durch Erniedrigung anderer. Rigides Tun und Denken ist der spröde Panzer, der vor der Entdeckung des weichen Kerns, der Unsicherheit, der Angst, der Haltlosigkeit schützen soll, ein SELBSTSCHUTZ letztendlich.
Die Menge steht dabei und ist platt, sie staunt, und fragt sich, warum die Menge so dumm ist?