Skistehen oder Poolliegen?


(Leserservice: Wichtige Wörter sind fettgedruckt!)
Warum Menschen gerne Ski fahren ist nicht bekannt. Noch weniger ist bekannt, ob sie wirklich gerne fahren, oder dies nur behaupten, um etwas andere Menschen, die nicht Ski fahren, neidisch zu machen. Möglich auch, dass sie lediglich wollen, dass andere kein Mitleid zeigen, weil sie Ski fahren müssen und daran keine Freude empfinden können. Wer bemitleidet wird, ist ein armer Tropf, ein Loser (Gesprochen: Lu:ser), ein totaler Versager. Niemand liebt dich, wenn du am Boden liegst. Das ist bekannt. Das gilt nicht nur fürs Skifahren. Das ist überall so. Ausgenommen natürlich der Schattenplatz am Hotelstrand oder Swimmingpool in heißen Ländern. Wer da liegt, ist ein Gewinner. Die Vollidioten finden morgens ihre Handtücher, mit denen sie ihre Plätze am Vorabend bunkern wollten, im Wasser wieder. Gleiche Bedingungen für alle: Ab sechs darf das Handtuch ausgelegt werden. Frühaufsteher sind im Vorteil gegenüber den ganz Ausgeschlafenen. Bei Halbtagsausflügen hat man dann immer „sein“ Plätzchen am Planschbecken, um sich von der beschwerlichen Besichtigungs- oder Shoppingtour zu erholen. Niemand wird am helllichten Tag wagen, das Handtuch dieser Soziopathen im Pool zu versenken. Darüber wachen die anderen, die trotz verbrannter Haut auf ihren Plätzen liegen. Weggegangen, Platz vergangen. Das gilt hier nicht unbedingt. Wenn das Handtuch liegt, liegt gleichsam der Besitzer; und den schmeißt man nicht ungestraft ins Becken, auch wenn einem danach ist, weil dieser Platz gestern mir gehört hat. Aushalten, durchhalten, Platz halten. Liegen muss nicht schlecht sein.

Der Skifahrer steht meistens. Er schaut, ob die Piste frei ist. Er genießt die Gegend. Er steht am Lift. An der Gondel. Am Liftpassschalter. An der Schneebar. Im Restaurant. Beim Après-Ski. In Skischuhen. Der Skifahrer steht, und zwar meistens an.
Der Skifahrer sitzt darüber hinaus. Er sitzt im Lift, in der Gondel, im Restaurant, wenn er endlich einen Platz gefunden hat. Er sitzt im Schnee, um wieder aufzustehen.
Er fährt den Hang hinunter. Auf der Piste. Er fährt die kürzeste Zeit. Je mehr er fahren will, desto mehr muss er stehen und sitzen. Das ist ein proportionales Verhältnis. Je mehr desto desto. Reziprok klingt schöner, wäre aber fatal. Je mehr, desto weniger eben. Das hieße, dass er gar nicht zum Fahren käme. Je mehr er stünde, desto weniger führe er. Bei vollen Gondeln geht die Fahrzeit gegen Null.
Der Skifahrer betreibt seinen Sport bei Nulltemperaturen. Vielleicht aus diesem Grund: Weil er sich im Grunde ein reziprokes Verhältnis wünscht. Je weniger er sitzt, desto mehr kann er fahren. Schluss mit Gegendgucken, Schneebarstehen, Füßeausruhen. Der Sport wird Stress. Niemand kommt zum Halten, alles endet in einer unendlichen Bewegung, die schließlich zu völligen Auszehrung des Körpers führt. Oder im umgekehrten Fall zu breitgesessenen Hintern und platten Füßen.
Skifahren ist im Endeffekt kein Sport, der gut tut. Er schadet. Das will niemand wahr haben. Wer kauft sich schon eine Skiausrüstung für richtig Geld, um hinterher festzustellen, dass das Bewegungsverhältnis der Sportart proportional ist, aber wunschgemäß reziprok sein sollte. Das wird niemand gern zugeben. Auch nicht, dass er seine Ausrüstung billigst wird verschleudern oder nach einem Schleudersturz durch die Haftpflichtversicherung eines naiven Mitfahrers wird finanzieren lassen müssen. Skifahren ist nicht einmal eine Freizeitbeschäftigung, die Wohlbefinden erzeugt. Entweder sitzt man zu wenig und fährt kaum, oder man fährt viel, sitzt und steht aber dauernd herum. Nur – woher die Zeit nehmen? Wer viel fahren will, muss noch mehr Zeit haben.
Da ergibt es doch einen Sinn, am Pool auf seinem Badetuch zu liegen, oder das Tuch alleine liegen zu lassen und sich derweil mit anderen Kostbarkeiten des Lebens zu vergnügen. Denn hier gilt: Je länger ich liege oder liegen lasse, desto länger liege ich, oder lasse ich liegen. Ein Verhältnis, das stimmt. Da gerät nichts durcheinander. Eine Ungleichung, die jeder verstehen kann. Herumliegen ist schlicht und auch für einfachste Gemüter keine Überanstrengung. Wer es dann noch schafft, kurz vor sechs aufzustehen und sein Handtuch an die richtige Stelle zu legen, der kann sich eines übersichtlichen proportionalen Verhältnisses sicher sein; und das ist richtiger Urlaub.
(Zum Foto: Verdammt, wo ist der Schnee geblieben? Eine verwirrte Skifahrergruppe steht vor dem Nichts. Das ist noch einmal superreziprok.)