Andi Doth: Was machen gegen Heulsusen?

Da stehen sie vor dir: Heulsusen. Gleich wird es aus den Augen schütten, du musst nur noch das richtige, oder besser, falsche Wort sagen, schon geht's los. Du verlässt das Hallenbad, fühlst dich gut, hast ordentlich Bahnen gezogen und dann fällst du fast über eine vollgestopfte Badetasche, die mitten im Gang steht, die du nicht gesehen hast, weil du im Moment in anderen Regionen schwebst. Du denkst an ein kühles Helles oder ein Gläschen Roten, das oder den du dir gleich genüsslich in die Kehle rinnen lassen wirst, vor dem Fernseher, in dem die Lieblingstatortwiederholungssendung auf WDR 3 ausgestrahlt wird. Du weißt, es ist Donnerstag, morgen kommt Freitag, und dann ist Wochenende. Was kann dir jetzt noch passieren. Die Welt hat Gutes für dich vorbereitet. Dann tritt dein Fuß in Dumpfes, du schreckst hoch, denkst, du hättest in einen leblosen Körper getreten, der dort am Boden liegt; es ist nur eine dunkelblaue Badetasche, in der feuchte Handtücher und anderes Zeug lagern, alles, das in ein paar Tagen stinken wird, wenn es nicht heute Abend noch in die Maschine kommt, um anschließend aufgehängt zu werden oder im Trockner zu landen. Dein Adrenalinspiegel hat sich erhöht, du spürst feine Nadelstiche in den Fingerspitzen. Warum hast du dich so erschreckt? Das war doch eine vollkommen harmlose Situation? Du denkst an letzten Donnerstag, als dein Fuß fast in einem älteren Herrn stecken geblieben wäre. Der Mann am Boden entpuppt sich schnell als Obdachloser mit passender Fahne, die dir den Genuss deines Gläschen Rotweins vergällen will. Natürlich sprichst du den am Boden Liegenden an, der erzählt mit triefenden Augen seine Lebensgeschichte, denn du kannst Heulsusen nicht widerstehen. Fast hättest du mitgeheult, so ergreifend, so nah am richtigen Leben ist die Schilderung. Du beschließt mit dem Rotwein und auch mit dem Bier aufzuhören; und überhaupt, dein ganzes maßloses Leben willst du umkrempeln. Dir geht es zu gut!, schreist du dich an. Du bringst den Triefäugigen ins Heim; am nächsten Tag wirst du deinen Wagen waschen und den Innenraum aussaugen. Wäre sowieso mal fällig gewesen. Der Tatort ist vorbei, als du nach Hause kommst. Der Rotwein schmeckte sauer, das Bier schal. Du schläfst schlecht und beschließt am nächsten Morgen, kurz vor der Waschnanlage, solche Menschen demnächst zu meiden. Donnerstagsabendverderber. Üblegefühlemacher!
Jetzt steht dieser rotznasige Junge vor dir, kurz vor seinem größten Tränenausbruch, kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Was kannst du schon machen? Du sprichst ihn an, jaja, Schlüssel verloren, Geld gestohlen, Bus ist weg; er weiß aber noch, wo er wohnt; jaja, das ist zu Fuß zu weit. Jetzt fängt er an zu erzählen und du alter Jasager sagst ja, wenn er fragt, ob er aufhören soll. Neinnein, geht doch eigentlich, das Neinsagen, aber in Wirklichkeit ist das Nein ein Ja. Du weißt, was jetzt kommt. Der Abend ist gelaufen. Wahrscheinlich wird dir der Bursche, wenn er zum Thema lebensgefährliche Krankheiten gekommen ist, in den Wagen kotzen. Morgen Waschanlage, Innenraum muss auch mal mit Seife gereinigt werden. War sowieso fällig. Tatortwiederholungen kotzen dich an, genauso wie Rotwein und Bier; dir stehen die Tränen in den Augen. Warum ich, warum ich, fragst du dich später, als du in deinem vollgekotzten Wagen vor der Ampel stehst. Warum ich? Du heulst und spürst Erleichterung. Jemand klopft an die Scheibe. Kann ich Ihnen helfen? Jaja, sagst du alter Jasager, und meinst eigentlich nein. Und wie?, fragt es draußen. Keine Ahnung, antwortest du, und die Tränen fließen nur so über deine Wangen.