Das Loch in der Geschichte

Die kompetenten Herren in Grau und Beige mit den gestärkten Manschetten, in denen perlmuttene Knöpfe steckten, mit den dezenten, weil langweiligen Schlipsen und diesem Hüsteln zwischendurch, die mit gepflegten Händen die Noten in ein rotes Büchlein schrieben, hatten nicht bemerkt, dass die deutsche Geschichte, die sie uns Zöglingen vermitteln mussten, ein Loch hatte.
Ein riesiges Loch.
Wir waren am Rand des Loches angekommen. 1923.
Unser Geschichtsoberstudienrat hatte uns an den Rand geführt und wir standen gleichzeitig kurz vor dem Abitur.
Während wir uns als  Schüler am Rand des Loches, der das Datum 1923 trug, aufhielten, waren wir zur selben Zeit als Menschen auf der anderen Seite des Loches: In der Gegenwart, in unserer persönlichen Gegenwart.
Hitler und alles danach hatte es scheinbar nie gegeben.
Wir standen an einem riesigen Loch in der Geschichte und schauten, wie es an Rändern häufig der Fall ist, in einen Abgrund.
Unten hätten wir ebendiese Pädagogen sehen müssen, die sich und ihre Vergangenheit verleugneten, verschwiegen, vergruben. Deren Gesinnung in Sätzen wie: Sie wollen doch wohl nicht mit einem Hilfsschüler zusammen ihr Pausenbrot essen? deutlich wurde,wenn sie sich etwa über eine Gesamtschule äußerten.

Aber wir erkannten nichts in jenem Abgrund. Die Männer in Grau standen uns im Rücken und drohten uns zu stoßen, wenn wir auch nur ein Wort darüber verlören. Sie schwiegen wir über die vergessene Zeit, wie sie es taten.