Günter Krass: Erinnerungen - Café Stumpff

Samstags saßen wir als pubertierende Schüler, die gern nach Mädchen schielten und sich nach dem ersten Kuss sehnten, im CafÉ Stumpff und ließen uns von oben herab bedienen. Der Ober schaute in eine andere Richtung, wenn er unsere Kleinbestellung aufnahm und genauso servierte er das Bestellte. Der Laden war brechend voll, jedermann wunderte sich, warum so viele Stühle in dieem Café standen, sodass bis zu acht Personen an einem Vierertisch sitzen konnten. Warum wir denn wirklich hier saßen, wussten wir nicht; wir saßen, weil es die anderen taten, es glich einem Ritual, das keiner mehr hinterfragte. Samsatag bei Stampff, das war Gesetz, ungeschrieben, aber eingebrannt in unsere Herzen. Wir taten immer lässig, weil wir wussten, dass die anderen auch nur hier waren, weil wir hier waren, weil der Laden voll sein musste, weil hier kein Platz mehr sein sollte für etablierte Anzugträger, kein Platz für Greise und Frühergraute, nicht für Eltern, nicht für Lehrer, nicht für Leute über dreißig. Establishment bleib uns vom Hals! So taten wir und lehnten gelangweilt und existentialistisch in den Sitzmöbeln, rauchten, was das Zeug hielt und tranken schwarzen Kaffee. Wir versuchten, nicht zu husten. In Wirklichkeit aber waren wir da, um nach den Mädchen zu schielen, um zu gucken, ob sie nach uns schielten. Leckere Mädchen saßen herum, die nach Erdbeertorte rochen, die wir aber nicht bestellten, weil sie nicht existentialistisch genug war. Auch Mädchen und ihre Küsse waren nicht wirklich existentialistisch, und es blieb so oft und so lange beim Schielen. In der Zwischenzeit schleppte der Naivling Robert die schönsten Erdbeertortenstücke ab und ergötzte sich an deren Erdbeerduft. Irgendwann begannen wir, den Exitstentialismus zu hassen. Besonders den im Café Stumpff.
(Foto: Hässliche Kaffeehaus-Romantik, weit entfernt von Sartre oder Camus.)