Osterinselgesichter


Liebes Tagebuch!

Heute war ich mit dem Auto unterwegs und fuhr an einer Bushaltestelle vorbei, wo ein Ehepaar aus der Nachbarschaft stand, das aussah wie diese stoischen Figuren auf den Osterinseln, von denen keiner weiß, wer sie da mal hingestellt hat.
Sie hatten diesen Blick wie die großen Steinfiguren, so gelangweilt vom vielen Herumstehen, so nichtssagend, weil sie sich nichts zu sagen hatten, und so hängebackig, weil die Haut und das darunter liegende Fettgewebe natürlich mit der Zeit von diesem grundlosen Herumstehen nach unten sacken.
Das Paar wartete wohl auf den Bus, denn sie standen an einer Haltestelle. Wenn sie den Bus nicht erwarteten, trüge das zur Verwirrung des Busfahrers bei, der denken müsste: Worauf warten diese Menschen, wenn nicht auf den Bus, denn sie stehen ja an einer Bushaltestelle, die überdacht ist, und die hieß früher sogar Buswartehäuschen.
Die Frau hatte die Finger an die Nase gelegt und schaute nach oben, ich hoffte, dass sie nicht auf ein Flugzeug wartete, denn dann wäre sie hier falsch. Der Mann, ein wenig abgekehrt von der Frau, blickte geradeaus ins Leere, bzw. in der Vorgarten eines Anliegers, aus dem der Bus wohl auch nicht erscheinen würde.
Kurz darauf war ich an den beiden vorbei, und ich dachte, was man sich doch alles merken kann, obwohl man in Windeseile, mit etwa 50 Stundenkilometern vorbeirauschte.
Ich überlegte, ob ich mehr gesehen hätte, wenn ich die vorgeschriebenen 30 Stundenkilometer eingehalten hätte.
Als ich den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gebracht hatte, sah ich ein Eichhörnchen von links über den Weg huschen und dachte, wie niedlich Eichhörnchen doch sind. Ich war froh, dass es keine Katze gewesen war, die hätte den Tag wohl verdorben.
Mein Fuß zuckte plötzlich leicht Richtung Gaspedal, weil mein Gehirn registrierte, dass es sich um ein amerikanisches Eichhörnchen handelte, die die roten europäischen Eichhörnchen immer mehr verdrängen, weil sie aggressiver sind. Wenn man an die vielen Kriege denkt, weiß man, dass der Amerikaner ingesamt aggressiv ist, was das angeht, wobei man sich immer fragen muss, ob es den Amerikaner überhaupt gibt. Es gibt ja auch nicht den Deutschen und den Polen. Der Amerikaner ist ja immer auch ein Einzelmensch, ein Individuum. In der Masse aber, wenn der Amerikaner massenhaft auftritt, ist er wohl aggressiver, den er kämpft an vielen Stellen der Welt, wenn auch nur um Rohstoffquellen oder um die Befreiung von Unterdrückern, die diese Quellen blockieren könnten.
Ich zog meinen Fuß zurück, denn mein Unterkörper wollte wohl diesem amerikanischen Eichhörnchen Unrecht tun, indem er es überfahren wollte, wenn auch nur, um das europäische Eichhörnchen zu schützen. Ein Wesen zu töten ist ein Unrecht, es sei denn, man will es essen. Da ich aber Eichhörnchen als Brotbelag verabscheue, nahm ich dann insgesamt Abschied von dem kurz aufblitzenden Tötungsgedanken.
Wie vielfältig kann so ein Tag doch in kürzester Zeit sein, dachte ich noch, und dass ich wohl jetzt umdrehen und nach Hause fahren würde, wenn ich nicht hätte arbeiten müssen und pünktlich sein wollte.
Das konnte ja noch was werden mit Tag!