Mein roter Schuh (Günter Krass)

Mein roter Schuh ist so rot, dass die Blätter von den Bäumen fallen. Ich habe tausend Gespräche geführt über diesen roten Schuh, und er sitzt doch so bequem.
Es ist ein ganz anderer, als der, der zufällig verfärbt worden war, weil die falsche Schuhcreme auf ihm klebte, und er sich hatte wandeln müssen von einem braunen Schuh in einen roten. Dem man allerdings ansah, dass er verfärbt, oder korrekterweise, gefärbt war.
Mädchenschuhe!, hatten die Klassenkameraden gebrüllt und gelacht, und ich war rot geworden. Wer wollte als Junge Mädchenschuhe tragen. Mädchen. Wenn ein Junge ein Mädchen war, konnte das schlimm ausgehen damals. Deshalb war es geboten, rot zu werden. Hahaha, hatten die Jungen weiter gelacht, der wird ja rot, rot wie ein Mädchen! Hahaha, rot wie seine Schuhe!
Das war kein Witz, kein Scherz, kein Spaß. Nicht für mich.
Ich beschloss, kein Mädchen zu werden, nie mehr zu erröten, und irgendwann rote Schuhe zu tragen, lässig und gelassen, rote Schuhe, die so rot waren, dass die Bäume ihre Blätter fallen ließen. Die so rot waren, dass die Lacher von damals nur noch mit stumpfen Gesichtern die Macht der roten Schuhe bestaunen konnten und sich wünschen mussten, nein, gezwungen waren sich zu wünschen, solche Schuhe zu besitzen. Und aus ihren Mündern quölle nur Stille wie ein grauer Lappen, der jeden unangemessenen Laut ersticken würde.
Jetzt sitzen die roten Schuhe an meinen Füßen und die Blätter fallen von den Bäumen.