Versteinerungen im Herbstwald


Gedankenlos gehen wir durch den Herbstwald; das Laub ist so schön bunt, die Vögel und Eichhörnchen raffen Proviant zusammen, um über den Winter zu kommen, wir atmen tief durch und trotten weiter in dem Glauben, dass dieser Spaziergang gesund sei, dass wir etwas für den Körper tun, dass wir uns entspannen, uns erholen, uns der Natur widmen, Menschen sind, die das Umsieherum bewusst wahrnehmen.
Dabei stiefeln wir an den interessantesten Dingen, an den tragischsten Momenten der Erdgeschichte vorbei. Ein Blick zur Seite - zur rechten Zeit, am rechten Ort, versteht sich- und wir erkennen hier einen Arm, da ein Bein und manchmal sogar ein Gesicht im Stein. Was kann hier passiert sein? Von welchem Schicksal will man uns erzählen? Hat vielleicht hier ein Mann am Starnd gelegen, als noch Meer war, wo jetzt Bäume stehen, hat sich gesonnt und ist irgendwie später versteinert, wie es abermillionen Muscheln und anderes Kleingetier auch sind, die wir immer wieder gern aus dem Gestein hämmern und es als Briefbeschwerer oder unützen Zierrat verschenken? Oder ist es ein König, der hier im Stein auf seine zweite Krönung wartet, die ihm damals zu Lebzeiten versprochen worden war? Oder ist es ein Kaiser? Vielleicht der Kaiser Barbarossa, der damals im Fluss ertrunken ist, weil er seine eiserne Rüstung trug und darüber hinaus nicht schwimmen konnte? Der soll ja immer noch warten, so dass sich Kyffhäuserkameradschaften gegründet haben, die gemeinschaftlich warten und sich die Zeit mit dem Schießen auf Zielscheiben vertreiben.
Wanderer, geh mit offenenm Blick durch die Welt und verpass nicht die Botschaften, versäum nicht die Geschichten, die man dir mitteilt. Auch wenn du dich fragst, wie man denn in so einen Stein hineinkommt, musst du akzeptieren, dass es auf jede dumme Frage auch eine dumme Antwort gibt, nämlich: Keine Ahnung.