Bodos Fotoschule: Reduktion

Der Fotograf, der oft mit den Objekten vor seinen Linsen irgendwie bekannt, verwandt oder verbandelt ist, sieht diese Objekte natürlich mit anderen Augen, als derjenige, dem das Bild präsentiert wird. Ja, schon wieder Elvira!, ruft der Außenstehende innerlich, nach außen sagt er: Schönes Bild, ja, sehr fein.
Der Alltag ist geprägt von Notlügen.
Wenn man eine Möhren essende Frau fotografiert, sollte man sich auf des Wesentliche konzentrieren, nämlich auf das Möhrenessen, weil die Bildaussage sonst zugrunde geht.
Was für schöne Augen, so tiefgründig mit Ausblick auf das Wiehengebirge, welch schöne Nase, was die wohl alles erschnuppern mag?, welch schöne Wangen, wie viele Tränen sind hier schon heruntergeronnen und wie viele Lachfalten sie doch besitzen? Diese Frage stehen nicht zu Diskussion.
Das sollte der Betrachter denken: Aha, eine Frau isst eine Möhre. Sehr interessant. Und damit er die Möhre nicht mit einer Schlangengurke, einer Banane, einer Wurst oder anderen länglichen Gegenständen verwechselt, weil er nicht genau hinschaut, sondern eher die schönen Ohren mit dem Goldgehänge betrachtet, muss ein Foto reduziert werden. Da müssen erheblich Inhalte weggenommen werden, um den reizüberfluteten Alltagsmenschen auf das Wichtige hinzuführen, auf die Möhre und den Mund einer Frau, die die Möhre isst.
Mit einfachen Fotobearbeitungsprogrammen kann man das im Nachhinein bewerkstelligen, falls die Dame es verweigert, einige Teile des Kopfes abzudecken. Einfach die Wangen, die Nase, die Augen, die Wimpern und Brauen, die Stirn und ein paar Haarsträhnen weg!
Der Betrachter wird es dem Fotografen aber danken, denn er weiß endlich, worum es auf dem Foto geht.