Den Kuss hatte er sich romantischer vorgestellt. Der war
doch immer Station auf der Gesamtentwicklung des Werbens und Eroberns. Er hatte
ihn eher süß imaginiert, so wie von Dichtern besungen, beschrieben, bereimt.
Jetzt fühlte er sich nicht mehr Herr seiner Lage. Die
beworbene Dame hing an seiner Lippe, sie hatte sich förmlich festgesaugt und
wollte nicht loslassen.
Er fühlte sich bedrängt, seiner Eroberungsfähigkeiten
beraubt, gelähmt und zu Passivität verdammt.
Ein abruptes Trennen der Münder würde ein Fiasko auslösen.
Das war ihm fern, rückte in seinen Überlegungen aber mählich näher.
Wenn der Kuss schon nicht süß war, wie sollte der Rest
werden, vielleicht der Rest seines Lebens?
Die beworbene Dame musste Knoblauch gegessen haben, denn ihr
Kuss war eher würzig als süß. Zuckrig hätte es auch getan, aber der Hauch von
Gemüsebrühe blockierte seine Sensoren, die Synapsen waren am Japsen, sie
schrien Alarm!, keuchten und wollten besänftigt werden.
Ihr Kuss war nicht mal sanft, er war kräftig, besitzergreifend,
gefangennehmend.
Mit einem Ruck riss er den Kopf zurück, ein Schmatzen zeugte
von der Trennung der Lippen.
Entschuldigung, meine Dame, ich glaube, ich habe sie
verwechselt, murmelte er und eilte Richtung S-Bahn-Station. Die 11er um 19.01
konnte er noch schaffen, wenn er sich beeilte.