Umarmen oder Umarmtwerden?

Manche halten es für ein Grundbedürfnis: Umarmt zu werden. Neidisch blicken die am Rande Stehenden auf das Herzen und Kosen der Nachbarschaft, die Thekenfreundschaften und Grillbekanntschaften schließen und sich in bierseliger Laune in den Arm nehmen. 
Damals nahm Mutter die Kleinen in den Arm, drückte und küsste; manchmal ließ sie die Kleinen in der Ecke stehen und brüllen, sie sollten bloß nicht verweichlicht werden, und überhaupt hatte sie einen Kessel Buntes auf dem Herd, da war jetzt keine Zeit zum Knuddeln; auch Friedhelm, der Postbote, konnte jeden Moment vor der Tür stehen mit der neusten Ausgabe von "Die moderne Hausfrau". Vor allem sollte solch temporäre Ignoranz, auch wenn Mutter das Wort nicht kannte, auf oben genannte Situationen vorbereiten. Abseits stehen und nicht umarmt werden. Früher konnten die Kleinen brüllen. Heute wäre das unschicklich. Aber kompensiert werden muss der Frust auf jeden Fall. In seiner zurückhaltenden Form sehen wir Menschen, die sich selbst umarmen. In einer mittel-lästigen Form rennen die Menschen hin und drücken alles, was vom anderen Geschlecht ist; das findet sich oft bei benachteiligten Männern, die Opfer sind vorwiegend Frauen, welche häufig im Unterleibsbereich zurückweichen, weil sie dem Überraschungsangriff anders nicht begegnen können. In der traurigsten Form tritt uns der Große Weltumarmer entgegen, der alles, was ihm vor die Brust kommt, in seine Arme schließt und glaubt, er habe etwas Engelhaftes in seinem Tun erkannt, das die Menschen glücklich machen müsse.
Was liegt in der Kindheit nicht alles begründet und verborgen!
Ist denn Umarmtwerden überhaupt ein Grundbedürfnis, oder nur eine bittere Reminiszenz an das Rumbrüllen hinterm Küchenherd, weil Mutter gerade die "Moderne Hausfrau" in die Hände gedrückt bekommt?