Farben in der Notaufnahme

Blau - da bist du in der Notaufnahme eigentlich falsch.
Ich habe da mal eine Frage; wenn sie einen Moment Zeit hätten?
Natürlich hatte die Dame am Aufnahmeschalter der Notaufnahme einen Moment Zeit. Eben noch hatte sie mit dem Pfleger über die Urlaubspläne gesprochen.
Ich hatte auch einen Moment Zeit. Ich wartete zwar, aber nicht darauf dranzukommen. Ich hatte gesessen, hatte gestanden, war herumgegangen.
Es gab keine Lesemappen, nur langweilige Prospekte über das Krankenhaus. Diese aber hundertfach.
Beim Herumwandern war mein Blick auf die schönen Farben einer Wandtafel gefallen.
Hier wurden Patienten bestimmten Farben zugeteilt; je nach Dringlichkeit der Behandlung, je nach Schwere der Erkrankung.
Ich fragte die Dame an der Rezeption: Woher weiß denn der Patient, dass er blau ist?
Die Dame stutzte, ich korrigierte meine Frage, denn die war offensichtlich missverständlich.
Er schwankt oder sieht doppelt, ergänze ich leise, frage aber dann: Woher weiß denn der Patient, dass er rot ist? Um Missverständnissen vorzubeugen, deute ich auf die Wandtafel.
Da hinten, die Wandtafel! Wo tauchen denn die Farben wieder auf, damit der Patient weiß, dass er rot,orange, gelb, grün oder blau ist?
Der Patient merkt das schon ...., antwortete der Weißkittel.
Bekommt der einen Laufzettel mit der Farbe?, lasse ich nicht locker.
Nein, die knappe Antwort.
Vielleicht sprüht man ihm die Farbe auf die Stirn, die nur die Behandelnden sehen können, denke ich für mich.
Das ist mal irgendwann festgelegt worden, damit man die Reihenfolge der Behandlungen sinnvoll strukturiert. Die Notfälle zuerst.
Aber woher weiß denn der Patient, dass er rot ist. Oder blau? Das sagt ihm doch keiner.
Nein. Der Patient merkt das an der Wartezeit.
Aha. Ich denke nach.
Je länger ich warte, desto ungefährlicher die Erkrankung. Ein Trugschluss zu denken, dass man nach langen Wartezeiten das Krankenhaus gesund verlässt, weil man es scheinbar auch gesund betreten hat.
Wenn ich lange warten muss, werde ich oft rot -  weil ich mich ärgere.
Wer rot ist, kommt sofort dran, das ist ja so festgelegt, ergänzt die Dame, aber ich kann mich nicht richtig mit dem Farbensystem anfreunden.
Jetzt taucht ein neuer Patient auf und ich vermute, der ist höchstens grün, denn man erkundet erst, welcher Krankenkasse er angehört und ob er eine Versicherungskarte dabei hat. Dann kann es nicht so dringend sein. Vielleicht ist er auch orange, und kann nicht sofort drankommen, obwohl nicht viel los ist in dieser Nacht. Aber so hat man seine auf der Wandtafel festgelegte Wartezeit sinnvoll überbrückt.
Ich sollte mich nicht beklagen, ich als Nichtpatient, als lediglich Wartender, ich habe keine Farbe und auch keine offizielle Wartezeit.
Ich will nach Hause. Alle Prospekte sind gelesen, alle Gänge abgegangen, jede Wandtafel betrachtet.
Die Dame an der Rezeption hat jetzt keinen Moment Zeit mehr, aber ich kann mich gedulden. Vielleicht wird sie ihre Antwort noch ergänzen.
Gelernt habe ich auf jeden Fall etwas. Ob es etwas Sinnvolles ist, bleibt abzuwarten.