Rasenmähen und Psyche

Mit dem Rasenmähen ist das so eine Sache. Dieser Vorgang des Alltäglichen sagt eine Menge über den Mäher aus. Feinste Psychoanalysen ließen sich vornehmen und lebenspraktische Hilfen anbieten.
Rasenmäherbenutzer halten sich für völlig normal. Das ist allerdings nur eingeschränkt richtig.
Nehmen wir ein Beispiel: Tante und Onkel Reinhold haben gar keinen Rasen. Sie bewohnen einen ausgedienten Bauernhof, in dem außerdem ein paar Schweine gemästet werden, die bei Ingangsetzung der Belüftung einen bestialischen Gestank absondern, oder dies schon vorher getan haben, welcher jetzt per Lüftungsschlitz freigesetzt wird. Auf dem Hofgelände tummeln sich Hühner, die den einen oder anderen Wurm aus der zähen Erde zurren. Nun will es das Schicksal, dass das nicht so bleiben soll. Warum Idylle, warum Naturbelassenheit, wenn die Möglichkeit besteht, an einer Tombola teilzunehmen. Tante Lotte und Onkel Reinhold tun dies im Rahmen einer Weihnachtsfeier, z.B. des Schützen-, Heimat oder Hühnerzuchtvereins. Die gezogenen drei Lose sind zwei Nieten und ein Haupttreffer. Der Haupttreffer ist ein Aufsitzmäher, der natürlich erst richtig zur Geltung und zu Würde kommt, wenn eine ausreichend große Rasenfläche vorhanden ist, um in aller Ruhe aufzusitzen und sitzen zu bleiben. Während des Sitzen mäht die Maschine den üppigen Rasen. Die Nachbarn stehen blass vor Neid am Zaun und denken: „Und wir müssen unsern immer noch schieben!“ Tante Lotte und Onkel Reinhold wollen sich den Genuss solcher Szenen, allein die Vorstellung was in den Köpfen der anderen schon jetzt vorgeht, nicht entgehen lassen, sondern diesen weiter steigern und in den nächsten Jahren von Frühjahr bis Herbst in vollem Umfange auskosten. Als sie erkennen, was sie gewonnen haben, und als dies auch die Nachbarn erkennen, will ein hämisches Grinsen sich der Gesichter aller und Nietenbesitzer und Krimskramsgewinner bemächtigen. „Die haben doch gar keinen Rasen!“ raunt der eine. „Nen Aufsitzmäher! Den könnense doch gleich wieder abgeben.“
Für Tante Lotte und Onkel Reinhold steht fest: Rasen wird eingesät. Jede Menge Rasen. Je größer die Fläche, desto tiefer wird der Neid in die Herzen der Nachbarn bohren. Und das haben sie verdient, die , die sieben Monaten lang in der Mittagszeit ihre stinkenden Motoren angeworfen und gequält haben. „Jetzt sind wir dran“, denkt Onkel Reinhold. „Aufsitzmäher!“ Allein das schwere Wort erzeugt ein angenehmes Summen in der Magengegend.


Rasenmähen. Es ist ein Wettkampf. Hier zeigt sich nicht nur, wer den stärksten hat, sondern wer auch am längsten kann und das zu unmöglichen Zeiten.
Es ist fast wie Plastikmüllverbrennen am Freitag. Das ist genauso verboten wie am Donnerstag, aber am Freitag verschafft es noch einen besonderen Kick. Früher war es freitags erlaubt. Mit dem Verbrennvorgang kann jeder, der sich traut, noch einmal deutlich Protest einlegen und zeigen: Mir kann keiner was. Ich brenne, wann ich will. Dabei ist Brennen eben nicht der Vorgang des SICHVERZEHRENS durch Feuer, sondern das aktive Abbrennen von Material, das eigentlich bequem im Gelben Sack untergebracht wäre. Die Entsagung dieser Bequemlichkeit ist es gerade, die die große Freiheit des Landmannes oder der Landfrau ausmacht. Ich könnte es tun, wie bequem, aber ich gehe den steinigen Weg. Allerdings kräht kaum ein Hahn danach, ob Gustav seine Eternitplatten in Asche umzuwandeln versucht oder nicht. Jeder ist mit sich selbst und dem Brennmaterial beschäftigt, da bleibt keine Zeit den Nachbarn zu erschnuppern, ob der vielleicht Blumenuntersetzer aus Bakelit, frühe Sechziger, einäschern will. Es geht um die Eigenständigkeit, um die Selbstbestimmtheit, und darum , das allen zu zeigen. Landluft macht frei, in Umkehrung des mittelalterlichen Leitspruches.