Philosophisches Thema: Ist Skifahren ein Sport?


Warum Menschen gerne Skifahren, ist nicht bekannt. Noch weniger bekannt ist, ob sie wirklich gerne fahren, oder dieses nur behaupten, um etwa andere Menschen, die nicht Ski fahren, neidisch zu machen. Möglich auch, dass sie lediglich wollen, dass andere kein Mitleid zeigen, weil sie Ski fahren müssen und daran keine Freude empfinden können. Wer bemitleidet wird, ist ein armer Tropf, ein Loser, ein totaler Verlierer. Niemand liebt dich, wenn du am Boden liegst. Das ist bekannt. Das gilt nicht nur für das Skifahren. Das ist überall so. Ausgenommen der Schattenplatz am Hotelstrand oder am Pool. Wer da liegt, ist ein Gewinner. Die Vollidioten finden morgens ihre Handtücher, mit denen sie Plätze bunkern wollten, im Wasser wieder. Gleiche Bedingungen für alle: Ab sechs darf das Handtuch ausgelegt werden. Frühaufsteher sind im Vorteil gegenüber den ganz Ausgeschlafenen. Bei Halbtagesausflügen hat man so nachmittags immer noch „sein“ Plätzchen am Planschbecken, um sich von der beschwerlichen Besichtigungstour zu erholen. Niemand wird bei helllichtem Tag wagen, das Badetuch im Pool zu versenken. Darüber wachen die anderen, die trotz verbrannter Haut auf ihren Plätzen liegen. Weggegangen, Platz vergangen. Dieser brutale Reim zeigt, um was es geht. Aushalten, durchhalten, Platz halten. Liegen muss nicht schlecht sein. Das Handtuch ist Platzhalter.
Der Skifahrer steht meistens. Er schaut, ob die Piste frei ist. Er genießt die Gegend. Er steht am Lift. An der Gondel. Am Kartenschalter. An der Schneebar. Im Restaurant. Beim Après-Ski. Er steht in Skischuhen.
Der Skifahrer sitzt darüber hinaus. Im Lift. In der Gondel. Während der Mittagspause. Um die skischuhgequälten Füße zu entlasten. Er sitzt im Schnee, um wieder aufzustehen.
Er fährt den Hang hinunter. Auf der Piste. Er fährt die kürzeste Zeit. Je mehr er fahren will, desto mehr muss er stehen und sitzen. Das ist ein proportionales Verhältnis. Je mehr desto mehr. Reziprok klingt schöner, ist aber je mehr desto weniger. Das hieße, dass er gar nicht zum Fahren käme. Je mehr er stünde, desto weniger führe er. Bei unendlichem Sitzen ginge sein Fahren gegen Null.
Der Skifahrer betreibt seinen Sport bei Nulltemperaturen. Vielleicht aus diesem Grund; weil er sich im Grunde seines Herzens ein reziprokes Verhältnis wünscht. Je weniger er sitzt, desto mehr kann er fahren. Schluss mit Gegendgucken, Schneebarstehen, Füßeausruhen.
Der Sport wird Stress. Niemand kommt zum Halten, alles endet in einer unendlichen Bewegung, die schließlich zur völligen Auszehrung des Körper führt. Oder im umgekehrten Fall zu breiten Hintern und platten Füßen.
Skifahren ist in Wirklichkeit kein Sport, der gut tut. Er schadet im Endeffekt. Das will niemand wahr haben. Wer kauft sich schon eine Skiausrüstung für richtig Geld, um hinterher festzustellen, dass sein Bewegungsverhältnis proportional ist, aber wunschgemäß reziprok sein sollte?
Das wird niemand gern zugeben. Auch nicht, dass er seine Ausrüstung billigst wird verschleudern oder nach einem Schleudersturz durch die Haftpflichtversicherung finanzieren müssen. Skifahren ist nicht einmal Freizeitbeschäftigung, die Wohlbefinden erzeugt. Entweder sitzt man zuwenig und fährt kaum, oder man sitzt ständig und steht an und kann dann auch viel fahren. Nur – woher die Zeit nehmen? Wer viel fahren will, muss sehr viel Zeit haben, sehr viel Zeit.
Da ergibt es doch einen Sinn, am Pool auf seinem Badetuch zu liegen, oder das Tuch alleine liegen zu lassen und sich derweil mit anderen Kostbarkeiten des Lebens zu vergnügen. Denn hier gilt: Je länger ich liege oder liegen lasse, desto länger liege ich oder lasse liegen. Da gerät nichts durcheinander. Herumliegen ist zwar schlicht, aber daher auch für einfache Geister zu bewältigen. Wer es dann noch schafft, kurz vor sechs aufzustehen und sein Handtuch an die richtige Stelle zu legen, der kann eines übersichtlichen proportionalen Verhältnisses sicher sein. Da geht nichts schief, denn es liegt ja.
(Foto: Skifahrer lassen häufig im Vorbeifahren etwas liegen.)