Günter Krass - Skifahren

Die Sonne warf lange Schatten. Knut war ein wenig benebelt. Das war sein subjektiver Eindruck. Seine Ski-Kameraden hätten gesagt, dass Knut ziemlich voll gewesen sei.
Die Welt war schön. Besonders hier, wo alles weiß und gleißend war. Knut hatte seine Brille an der Theke in der Mittelstation vergessen. Vielleicht war sie auch verschwunden. Er hatte sie jedenfalls nicht mitgenommen. Die Berge. Wunderschön. Das Licht. Herrlich. Balsam für sein stressgeplagtes Inneres. Heil werden, das war wichtig. Die Schnäpse an der Theke hatten ihm ein Gefühl von Leichtigkeit vermittelt, als seien alle Sorgen beim letzten Toilettengang abgefallen. Als hätte er sie mit mächtigem Strahl ins Urinal katapultiert und dort weggeschwemmt und weggespült.
Jetzt wieder Skilaufen. Das gehörte dazu. Skilaufen war der Grund, um an der Theke Schnäpse zu trinken. Um an dieser Theke zu trinken. Leichtsoleicht. Das Rausgehen und Anschallen der Bretter waren ihm jetzt schwer gefallen. Beim Bücken schoss ihm das Blut in den Kopf. Die frische Luft machte ihn nicht nüchtern. Die Welt war schön. Alles war leicht. Das Blut zuckte in Knuts Schädel. Günni redete laut. Los geht’s oder so etwas! Die anderen fuhren. Knut schwankte und musste sich zusammenreißen. Hinterher. Bald fuhr der letzte Lift. Nicht abhängen lassen, keine Blöße zeigen. Im Urlaub waren alle gut drauf. Lachen. Das war wichtig. Nicht den Alltagsscheiß erzählen. Allen ging es gut. Null Problemo. Hahah! Was gingen die anderen auch Knuts Probleme an. Nicht den Urlaub versauen. In dieser Woche wollten sie es krachen lassen. Mal so richtig auf die Kacke hauen. Fünfe gerade sein lassen.
Knut hatte Mühe, den anderen zu folgen. Erich, dem Angeber, der am besten fuhr; Kuno, der am meisten trinken konnte und die lautesten Witze erzählte; Andreas, dem Zyniker, der nichts unkommentiert lassen konnte. Eigentlich lagen ihm die anderen nicht besonders; das war eine andere Wellenlänge. Aber es waren seine Freunde, wie er immer wieder behauptete. Wie er sich immer wieder selbst vorhielt. Skifahren war langweilig, gefährlich, mühsam, teuer. Knut hatte eine Liste negativer Eigenschaften des Skifahrens. Für Freundschaften muss man auch etwas tun. Da muss man mal über seinen Schatten springen. Knut wollte nicht vor dem Fernseher versauern. Helma war schon so weit. Sauer. Sie war sauer, wenn er nach Hause kam. Sollte vielleicht doch was zu arbeiten suchen. Früher hatte er das zu verhindern gewusst. Heute wäre er froh. Vielleicht wäre sie zufriedener und ließe ihn in Ruhe. Gegen Versauern half Skifahren, wenn man Spaß dran hatte.
Knut kämpfte mit einer Eisplatte und konnte gerade noch verhindern zu stürzen. Er musste ein kurze Pause einlegen. Die anderen waren nicht mehr zu sehen. Sie würden den Lift nehmen und hochfahren. Der Skipass war bezahlt. Also ausnutzen. Je mehr desto billiger. Knut fuhr weiter. Er wünschte sich in sein Bett. Der Alkohol setzte ihm mehr zu, als er gedacht hatte.