Welttag des Hühnerschlachtens

Günter Krass: Erinnerungen - Hühnerschlachten
Die Hühner hatten ausgelegt. Es gab zwar immer wieder ein oder zwei Eier, aber es hatte sich ausgelegt. Es war Zeit zum Schlachten. Das tote Huhn war sowieso nur noch für die Suppe und ein anschließendes Frikassee, von dem wir nicht wussten, wie es geschrieben wurde, zu gebrauchen; für andere Gerichte war es zu zäh. Es hatte seine Pflicht getan und musste abtreten. Am 4. Dezember sollten die im Laufe des Jahres Liebgewonnenen auf dem Hauklotz am Komposthaufen ihr Leben aushauchen, nachdem Kopf und Rumpf mittels eines Beiles voneinander getrennt worden waren. Aus sicherer Distanz hatte ich in den letzten Jahren immer zugesehen und eine Mischung aus Trauer, Angst und leichter Erregung durchzog meinen Körper.
"Ach", der Vater nun, als wir gemeinsam die Verurteilten betrachteten," es ist ja noch Futter da." Ich stutzte. "Dann warten wir noch ein paar Tage." So als hätten sie verstanden, hörten die Hühner auf zu picken, so als ekelten sie die Körner und anderen Ingredienzen des Nagut-Hühnerfutters an, das wir immer an der Mühle bei Thiemeier bezogen und das ich bisweilen in der 5-Kilo-Tüte auf meinem Fahrrad holte, so als wollten sie ihren Tod hinauszögern, das Futter strecken, indem sie nichts mehr zu sich nahmen. Arme Hühner, dachte ich, welcher Illusion gebt ihr euch hin? Der Hunger wird es hineintreiben, und jedes Korn wird euch dem kalten Stahl näherbringen, unentrinnbar werdet ihr Opfer eurer eigenen Bedürfnisse.