Schwarz-Weiß-Denken

Den Menschen, die in den Sechzigern sozialisiert wurden, sagt man ein schlichtes Weltbild nach. Sie leiden an Dichotomie, ihr Leben wird bestimmt von Schwarz und Weiß, und sie werden sich hüten, diese beiden sich ausschließenden Mengen zu vermischen, denn sie fürchten, im tristen Grau zu ertrinken. Schuld an der Misere ist das Schwarzweißfernsehen, das damals gerade aufblühte, auch wenn es erst nachmittags begann und nur am Wochenende gegen halb zwölf endete. In dieser für die Gegenwart sehr beschränkten Zeit gelang es doch, die Zuschauer, die begierig die neue Reiznahrung verschlangen, so zu prägen, dass sie schließlich oben von unten, rechts von links und hinten von vorn unterscheiden konnten, was das Leben erst lebenswert machte. So ganz nebenbei lernten sie wesentlich Elemente des amerikanischen Lebens kennen; bislang war ihr Wissen auf Kaugummi und Donald Duck beschränkt. Es gesellten sich Fury und Lassie dazu; Slim und Jesse gaben sich ein Stelldichein und überhaupt wurde der aufmerksame Zuschauer an den Kühlschrank und die Fliegengittertür herangeführt. Es wurde aufgeräumt mit der Lüge, Indianer seien rot, sie zeigten sich nämlich lediglich in Grau. Nur die Weißen waren und sind weiß. Und Weiß steht für gut und sauber, für gerecht und schwer in Ordnung. Der Amerikaner hat mit unendlicher Geduld dafür gesorgt, dass seine Welt weißer wurde und das kommt heute allen zugute.
Der heute 50- bis 60-Jahre alte Mensch krankt noch immer an der Dichotomie und das Farbfernsehen kann ihm da nicht weiterhelfen, denn es fällt ihm schwer mehr als zwei Informationen auf einmal aufzunehmen, was aber schon der Fall wäre, wenn ein Gelb und ein Ocker dazukämen. Gesellschaftlich oder individualpsychologisch ist dieses Problem nicht mehr zu lösen, aber die Zeit heilt ja bekanntlich alle Wunden.
(Foto: Nervige Typen lassen sich auch in Schwarzweiß nur schlecht ertragen.)