Nahrhafter Popel

Kurz vor acht vor einer Ampel, mein Rückscheinwerfer beleuchtet das Gesicht im nachfolgenden Fahrzeug. Ein Frau Ende dreißig, kurzes, dunkles Haar, Brille im Retro-Look, zuverlässiges, vielleicht ein wenig langweiliges Gesicht. Ihr kleiner Finger gräbt im rechten Nasenloch, ein kurzer Ruck, dann wird der Finger an den Mund geführt, Mund und Kiefer bewegen sich unmerklich, der Zeigefinger gleitet zum linken Nasenloch. Die Ampel springt auf Grün, ich gebe Gas. Eine Popelfresserin, so haben wir, die sich vor diesen Menschen als Schulkinder schon ekelten, sie genannt, auch um uns abzugrenzen und zu bezeugen: Das tun wir nicht!
Aber was ist daran verwerflich?
Der Chinese isst Hunde, wir regen uns auf, weil wir uns von Hunden lieber das Gesicht abschlecken lassen, als sie auf dem Teller zu sehen. Der Deutsche verzehrt Popel. Vielleicht tut das der Chinese auch. Vielleicht essen auch nicht alle Chinesen Hunde, wie nicht alle Deutschen Popel essen. Trotzdem: Angesichts der kritischen Welternährungslage muss dieses Tun gefördert werden, denn gerade die Fürdenkleinenungerzwischendurchesser und die Langeweileesser verschwenden wertvolle Nahrung, die hier von körpereigenen Stoffen ersetzt wird. Der Popel ist zwar arm an Vitaminen, hat aber reichlich Mineralstoffe anzubieten, die weit über ein Nahrungsergänzungspräparat hinausgehen. Warum verdammen, was allen zugute kommt? Der Zweck heiligte immer schon die Mittel. Vielleicht sollte man den Popelesser am Steuer ermutigen, indem man kurz hupt und seinen gestreckten Zeigefinger zeigt? Oft sagen Gesten mehr als tausend Worte...