"Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Siebzigerjahrekachel-Meditation

Da sitzt man an einem Ort, dem man das Attribut still zugewiesen hat, und der Geist kommt nicht zur Ruhe; der ganze Körper, die Seele und der Verstand, Überich, Unterich und mittendrin das echte Ich, warten, dass etwas passiert, dass der selbstreinigende Prozess beginnt; aber nichts passiert und nun setzt das große Rattern im Kopf ein, weil sich der Sitzende vor nichts mehr fürchtet als vor der Langeweile. Die Suche beginnt nach zerfledderten Zeitschriften, nach einem Lexikon der Heilkräuter, nach einem Pilzbestimmungsbuch oder einem Ratgeber für Mieter, nach irgendetwas, das jetzt interessant genug ist, vom inhaltsleeren Warten abzulenken, und sei es auch noch so zerfleddert und noch so hässlich, nach etwas, was der hoffend Sitzende im Wohnzimmerbereich nicht anfassen, geschweige denn lesen würde.

Und dann fällt der Blick auf die Wand vor ihm. Auf die grün-schimmernde Wand, auf die gekachelte Wand, auf die mit Siebzigerjahrekacheln verflieste Wand in Siebzigerjahregrün.
Vier Nieren zieren jedes Objekt, das in seiner Anordnung und der Reihung der Fliesen jeden unruhigen Geist in glückliche Trance versetzen kann.
Aber selbst das einzelne Objekt kann in die tiefe Entspannung führen.
Vier Nieren. Eine links, eine rechts, eine oben, eine unten. Super!, sagt das Hirn. Der ideale Organspender, der kann sich sogar selber zwei Nieren spendieren!
Ruhigwerden.
Vier grüne Nieren.
Saure Nieren habe ich nie gemocht, denkt der Sitzende. Ekelhaft, überhaupt, Innereien. Gut, Stippgrütze, das ging, da war ja auch alles drin, schön geschreddert, dass man nicht auf erkennbaren Teilen herumkauen musste, ordentlich gewürzt und scharf angebraten ging das. Und dann hatte man das Cholesterin erfunden. Da war das Essen nicht nur fettig, sondern auch noch ungesund. Zugunsten der Ärzte und der Pharmaindustrie.
Ruhigwerden. Konzentrieren. Fließen lassen.
Hahaha, Fliesen lassen! fällt mir ein. Genau, diese Sanitärstube müsste mal neu gefliest werden. Wer kann denn hier entspannt eine Sitzung halten, wenn er ständig diese mandala-artigen Gebilde in Rauswurf-Grün vor Augen hat.
Auf die Symmetrie konzentrieren. Auf die Wohlgestalt, das Ästhetische.
Das Hirn wehrt sich, aber es hat bereits verloren.
Die Augen werden starr und der Körper übernimmt dieses Verharren, wird schwerer und schwerer. Der Sitzende ist nicht mehr ganz da. Sein Geist schwebt in Höhe des Spülkastens, der kurz unter der Decke angebracht ist. Dreißiger Jahre, flackert ein kurzer Gedanke auf. Dann wieder Ruhe.
Erst der Gedanke, dass die grünen Nieren auch verschimmelte Champignons sein könnten, weckt aus der Versenkung.
Der Sitzende stellt fest, dass alles erledigt ist, das es zu einem Geschäftsabschluss gekommen ist, dass der Prozess der Ausscheidung vollendet ist.
Die grünen Siebzigerjahrekacheln scheinen freundlich zu lächeln. Der Sitzende lächelt zurück. Alles ist gut. Was vorher noch Gegner war, ist jetzt Freund. Frieden kehrt ein.

Wer solches probiert hat, weiß, dass jede noch so unsinnige Tätigkeit, jeder noch so hässliche Raum in ein sinnvolles Ritual eingebunden werden kann, wenn das Tun mit Andacht geschieht, wenn wir uns versenken in das Belanglose und es dadurch schön machen.