Günter Krass: Kuss

So hatte er sich den Kuss nicht vorgestellt.
Als würden sich zwei Regenwürmer übereinander stülpen und nicht mehr von einander loslassen.
Und überhaupt: So feucht.
War das jetzt Wilma, die an seinen Lippen hing und ständig versuchte mit ihrer mausartigen Zungen, oder was es auch immer war, seine Frontzähne zu kontrollieren? Ja, das musste Wilma sein. Wer sonst war denn in seiner Nähe gewesen, als er eigentlich lieber allein sein wollte?
Aber: Was gingen Wilma seine Frontzähne an?
Natürlich, sie kannten  sich schon mehrere Jahre. Aber geküsst hatten sie sich noch nie. Und überhaupt zweitens, was fiel Wilma eigentlich ein, einfach ihre Lippen über seine zu stülpen und mit diesem sinnlosen Zungengefummel an seiner Frontzahnkrone zu beginnen?
Aus Verlegenheit und um nichts falsch zu machen, fasste er an Wilmas rechte Brustwarze. Und überhaupt drittens: Warum war Wilma unbekleidet?
Immerhin war das hier keine Sauna.
Tommo war ratlos.
Immer und immer wieder hatten ihm die Kumpels an der Theke erzählt, dass Küssen schön und  der Anfang einer noch größeren Sache sei.
Tommo würde jetzt gern eine Salzstange essen, aber Wilma verstopfte mit ihren Lippen den Weg in seinen Mund.
Es war einfach schrecklich.
Und überhaupt viertens: Wer hatte denn die Frauen erfunden?
Warum konnte ein Mann nicht einfach mal in Ruhe eine Salzstange essen?