Tonnes Tagebuch: Heute fahre ich zurück

 Liebes Tagebuch!
Heute fahre ich zurück. Es ist ja eigentlich egal, von wo aus man zurück fährt. Ich fahre von Wilhelmshaven aus zurück, einer Stadt am Jadebusen. Ja, Jadebusen, das hat etwas. Da blickt man aufs Meer und denkt: Das ist ein Busen!
Männer fahren wohl gern dahin, weil sie sich an die Mutter erinnern können, die ihnen damals den Busen darbot, um ihnen Nahrung zu geben, flüssige Nahrung.
Ich habe den Jadebusen betrachtet, aber keine Brustwarzen finden können. Wie konnten die irren Namensgeber dieser Gegend denn glauben, dass ein Busen ohne Warzen als ein solcher identifiziert werden könne?
Ich habe eine Warze am Hals entdeckt, vielleicht ist es auch ein Fibrom. Falsches Fleisch, hieß es früher, das muss ab. Oder weg. Wegschneiden oder wegätzen sind probate Mittel. Vielleicht knibbele ich nur genug dran, dann fällt die vielleicht von selbst ab.
Wilhelmshaven. Eine Stadt nach Kaiser Wilhelm benannt, der sich da irgendwas hinbauen lassen wollte. Ich weiß gar nicht, wer der beiden Wilhelms es war, wahrscheinlich der erste, der den Platz an der Sonne haben wollte und die Aufteilung der Welt nach Tortendurchschneideprinzip durchsetzen konnte. Auch der Enkel mit dem verkrüppelten Arm ist ein Arschloch, obwohl man, wenn man politisch korrekt bleiben will, Behinderte nicht als Arschloch bezeichnen darf. Es sei denn, sie sind privilegierte Arschlöcher, die Unheil verursachen. 
Wilhelmshaven. Die beiden Namensgeber, oder war es nur einer?, sind schon lange tot, aber die Stadt muss mit der Scheiße leben. Mit Kolonialismus und Zweitem Weltkrieg.
Ich fahren zurück, so wie man es einem cholerischen Typen rät. Fahr mal zurück! oder: Fahr mal runter!
Ja, ich fahre runter, runter ans Wiehengebirge, etwa 200 km weiter im Süden. Da ist die Welt in Ordnung! Da gibt es keinen Kolonialismus, keinen Imperialismus, keine verkappte Sklaverei und auch keine behinderten Monarchen. Da wählt auch keiner Nazis. Damals nicht und heute auch nicht. Glaube ich jedenfalls. Man kukkt den Menschen ja nur vor die Stirn. Was sie denken, wenn sie überhaupt denken, weiß man nicht. Und will man auch nicht wissen.
Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal ist ein beliebtes Ausflugsziel. Das muss ja seinen Grund haben, sagen die Leute.
Ich fahre zurück.Nicht ein Stück, ich fahre ganz zurück. In Wilhelmshaven sagt der Fischbrötchenbäcker Moin!, wenn ich an ihm vorbeigehe. Der weiß ja gar nicht, wo er wohnt und grüßet trotzdem freundlich, als sei er stolz auf seine Stadt.
Gut, dass ich nur eine Woche geblieben bin und jetzt wieder wegfahren kann. Zurück eben. Und Busen gibt es auch in der Heimat. Die haben Warzen und spenden Milch, wenn es nötig ist. Das Kind lacht und freut sich, nicht an einem warzenfreien Jadebusen groß geworden zu sein.
Und: Zurück muss nicht schlecht sein, wenn es kein Vorwärts gibt.
Bis morgen, liebes Tagebuch. Ich werde mal meine Warze behandeln. Und schön war es in Wilhelmshaven doch.
Tonne