Sie Suche nach dem Heiligen Grill

Es ist Hochsaison. Abends liegt die Holzkohle auf dem Grill, der Grillanzünder kokelt vor sich hin, stinkt; der Mutige greift wie immer seit Jahren zum Spiritus, auch wenn das Risiko, den Kleinen zu verbrennen, hoch ist; die Wurst landet wenig später auf dem Rost und zischt, bis sie braun ist.
Es sind die Männer, die fernab jeder Kocherfahrung, fernab kleiner Handreichungen zum täglichen Gericht, plötzlich den Platz am Feuer für sich beanspruchen, so als sei es selbstverständlich, dass sie für die warmen Mahlzeiten zu sorgen hätten. Frauen halten sich dann lieber im Hintergrund und mischen einen Kartoffelsalat an.
Es ist wie ein Ritual, als müsse man sich reinwaschen, reingrillen besser, von der Schuld der Verweigerung, von der Schuld der unterlassenen Hilfeleistung im Ernährungssektor der Familie. Mit Herzblut wird gegrillt, mit Hingabe, ja fast mit Anmut, so, als gelte es, einen heiligen Vorgang in der richtigen Reihenfolge mit den richtigen Handlungen und den richtigen Utensilien  zu vollenden, der Unheil abwenden soll von der Familie und Schutz bieten kann für die nächsten Monate, für den Winter, den es ohne Grillabende zu überstehen gilt.
Die Männer sind auf der Suche nach dem Heiligen Grill, den sie in ihrem Garten, auf ihrer Terrasse, auf ihrem Balkon finden wollen, indem sich der eigene Rost aus dem Hagebaumarkt in diesen verwandelt und Heilung spendet und die Wiedererlangung der Unschuld ermöglicht.
Aber die Männer sind wie Parzival, dem die wichtige Frage nicht gelingt: Wie geht es dir? Woran leidest du?
Dem schüchternen Vegatarier hinter der Ligusterhecke, der leidend und ein wenig neidisch auf die fröhlich zechende und schmausende Gesellschaft blickt, der an seiner selbstgewählten Askese krankt, muss sie von den Andachtsgriller gestellt werden, die alles erlösende Frage: Na, Chef, willst ne Wurst? Oder geht's dir heute nicht so gut?
Aber vergessen ist Parzival, wenn die erste Wurst, wenn das erste Schweinenackensteak auf dem Teller liegt. Dann wird gegessen und mit vollem Mund fragt man nicht.
Und es wird nicht helfen, noch häufiger zu grillen oder noch mehr Fleisch auf den Rost zu werfen. Empathie und die richtige Frage, das ist die Lösung.