Thomas Mahn - Der Tod in Venedig

Gustav Aschenbecher. Von Aschenbecher wohl besser. Der Tod kramte seinen Zettel hervor und grummelte unwillig vor sich hin. Er hasste Venedig. Eine Stadt, die stank. Auf diesem Gestank schipperten geldgierige Gondolieri und nahmen Touristen aus. Die Modelle ihrer Boote waren üppig galvanisiert in Andenkenläden für teures Geld zu erwerben. Überall schreiende Gruppenführer die in babylonischer Sprachverwirrung ihre Nachläufer zusammenhalten wollten. Sie schenkten Fähnchen oder Wimpel, trugen bunte Mützen, die auch die Unfolgsamen trugen, um sich als Gruppe zu erkennen zu geben. Etikettierung. Kackende Tauben. Taube kackende Ratten, die an den Kanälen entlang glitten und Säuglinge anknabberten, weil sie es konnten. Widerlich. Dogen und Drogen und seufzende Brücken. Und jetzt Aschenbecher. Von Aschenbecher. Gustav von Aschenbecher. Abzuholen bis nächsten Donnerstag. Das war heute. Gustav. Lächerlich. Wer hieß denn heute noch Gustav? Gustav Gans. Wie hatte der gezetert, geschnattert, gequakt, als er mitkommen sollte. Hatte beteuert, er sei gar kein lebendes Wesen, sondern lediglich eine Zeichnung. Wie vielfältig und doch oft einfältig waren die Ausreden, wenn es Zeit wurde, mitzugehen.
Tod zu sein war sterbenslangweilig. Tot zu sein, war das Ziel. Alle wollten sich lieber auf dem Weg dahin verirren.
Der Tod hatte geklingelt. Eine Art Concièrge hatte geöffnet und verlauten lassen, dieser besagte Gustav von Aschenbecher sei bereits tot. Seit drei Tagen. Er habe sich allerdings Ascher genannt. Der Concièrge redete noch von den Gewohnheiten besagten Aschers und dass dieser häufig voll gewesen sei, weil er es den Kanälen habe gleichtun wollen.
Der Tod hörte nicht mehr zu. Da hatte der Kollege in seinem Revier gewildert, oder wie man besser sagte, hatte in seinem Bezirk die Arbeit übernommen, oder sie ihm auch abgenommen. Weggenommen. Tausend Tode. Man konnte mit tausend Toden sterben. Danke. Der Tod knirschte mit den bleichen Zähnen. Wie hasste er diesen Job. Wenn er nicht schon tot wäre, hätte er es jetzt endlich sein mögen. Aber man kann nicht werden, was man schon ist. Westliche Weisheit. Gondoliere!, rief der Tod laut. Einer würde zahlen müssen. Denn einer musste immer bezahlen. Gondoliere!, wiederholte der Tod energischer.
Vielleicht würde die Welt dadurch ein wenig leiser und ein wenig schöner werden. Gustav von Aschenbecher. Ein Name, wie er im Buche stand. Vergangenheit.