Der weise Mann sagt: Werde der du bist!

Werde, der du bist! Was für ein Unsinn, denkt der hungrige Mensch an der Imbissbude und schiebt sich dabei eine gebratene Wurst in Mund. Mit vollem Mund denkt man nicht, denkt der Esser und will der unbequemen Aufforderung entkommen, schafft aber ein weiteres Pradoxon, denn wenn man denkt, dass man nichts denkt, denkt man ja schon, und das muss auch der Wurstfreund verstehen.
Wie soll ich werden, was ich schon bin? Diese Frage drängt sich auf, denn ein Paradoxon, ein Satz mit widersprüchlichen Aussagen, sprengt den Schädel, der unter dem wurstzermalmenden Kiefergeräusch nicht zur Ruhe kommen kann.
Der Mensch ist, was er isst.
Das hat der Philosoph Feuerbach formuliert und wir alle wissen, dass Philosophen recht haben, auch wenn man nicht immer versteht, was sie damit meinen. Helmut Kohl wird wohl reichlich Kohl gegessen haben, denn er hat viel Kappes erzählt. Entscheidend ist - ein Satz von Kohl - was hinten rauskommt. Damit wären wir wieder bei der Wurst.
Du Hanswurst!, hatte Tilde immer zu Görg gesagt, und der hatte sich beleidigt gefühlt, gedemütigt und auf alle Emanzen geschimpft. Alle Emanzen sind Schranzen!, hatte er gelauthalst, ohne zu wissen, was denn Schranzen wirklich sind.
Die Wurst konnte er sich vorstellen, die innere Wurst, die, mit der er immer im Clinch lag.
Es fiel ihm ein Buch in die Hand, das Hilfe sein wollte: Die Versöhnung mit der Inneren Wurst, und Görg wusste: Ich bin nicht allein. Und wenn die Welt auch unterginge, und wenn ich auch der letzte Mensch wäre, so hätte ich immer noch meine Innere Wurst, die, von der Tilde wohl  gesprochen haben musste.
Wenn denn im Inneren die Wurst saß, dann galt es endlich als erwachsener Mensch, der sich ent-wickelt hat, diese Wurst nicht nur herauszuholen, sondern vielmehr das zu werden, was Görg immer schon war, eine Wurst nämlich.
Lass die Wurst heraus! Dieser Appell reicht nicht, um das Problem zu lösen, um in Harmonie mit dem Universum zu leben. Werde Wurst, werde die Wurst, werde deine Wurst, sei Wurst! Dieser Vier-Schritt zur Glückseligt, zur Erfüllung war ein Muss, so wie sich der Schmetterling von der Puppe befreit, um zu vollkommener Schönheit und Anmut zu gelangen.
Görg hatte den Schritt gewagt. Tilde saß heulend im Sofa, weil sie die Welt nicht mehr verstand. Görg hatte plötzlich Widerworte gesagt, es sei ihm Wurscht, hatte seinen Rucksack gepackt und war gegangen. Zu Willis Imbiss!, hatte er in den Flur gerufen. Da nimmt man mich ernst!
Wer ist denn jetzt Ernst?, hatte Tilde gerufen, aber da war Görg schon außer Hörweite.
Und heute steht Görg vor Willis Imbissbude, hat einen Job, in dem endlich Mindestlohn gezahlt wird, und betrachtet die Welt aus dem zarten Eigendarm heraus. Sein Gesichtsausdruck verrät, dass Görg glücklich ist.
Ob du Wurst bist oder Huhn, oder Ziege oder Schwein, Kuchen oder Sahneschnitte, Hahn oder Mist, aif dem er kräht: lass es raus und werde, was du bist!