Günter Krass - Erinnerungen: Traumatische Erlebnisse mit Büchern


Eines Nachts wachte ich auf und dann stand der dicke Mann mit dem großen Messer und der Schürze vor mir. Ich war eines der beiden Kinder, die irgendwie in die Fänge diese Monsters und seiner Frau geraten waren. Meine Schwester, ich hatte keine Schwester, meine Schwester steckte in einem Käfig. Fehlte nur noch die Hexe aus dem Knusperhäuschen; die Frau des Schlächters war schlimmer, sie war schwer, hatte ein lückenhaftes Gebiss und rührte ständig Suppe. Ich war gelähmt. Mir wurde schlecht. Was sollte hier passieren? War das die Rache für das Spanferkelessen letzten Freitag? Schweinekinder vom Grill, vorher noch eine Stulle mit Kalbsleberwurst. Spanferkelessen. Wiener Schnitzel letzten Sonntag, aber die Mutter hatte doch gar kein Kalbfleisch genommen, zu teuer und auf dem Dorfe wusste das sowieso keiner, dass der Wiener aus Kalbfleisch besteht. Haha, Galgenhumor. Herausschmecken? Wer hatte denn Kalbfleisch schon gegessen? Wenn es hätte bezahlt werden können, bestimmt jeder. Aber so. Wir aßen, was auf dem Tisch kam. So tun das gehorsame Kinder. In den Märchen, die wir meistens selber vorlesen mussten, kamen unartige Kinder in die Klauen des menschenkinderfressenden Paares. Was sollte aus uns gekocht werden, aus mir und meiner Schwester, die es gar nicht gab? Wir waren doch immer artig gewesen, besonders ich.Meine Schwester wahrscheinlich auch.