Günter Oecker: Nagelkasten (Wuppertal 2009, Bahnhof, Gleis 5)

Wie angenagelt standen auf dem Bahnsteig und warteten auf unseren Zug. Kein schöner ZUg, dachten wir, und lachten leise über dieses billige Wortspiel, kein schöner Zug, dass uns die Bahn hier stehen lässt, warten lässt, uns langweilen lässt, mit fremden Leuten auf engstem Raum, mit denen wir nicht im Leben zusammen in einem Zug reisen würden, mit denen wir nicht reden würden, die wir nicht anschauten, weil sie ständig zurückblicken, um sich die eigene Langeweile zu vertreiben. Wir schauten in andere Richtungen, nach unten, zur Seite, nach oben. Oh, schöner Nagelkasten, auf dir soll mein Blick ruhen, du bist schön, du veredelst diese Stätte aus Eisen und Beton, dieses Kommen und Gehen, dieses Warten und Fahren. Schöner Nagelkasten, du öffnest unsere Herzen und wir können die Menschen annehmen, die Nächsten, die auch auf ihren Zug warten, der vielleicht der unsrige ist, du öffnest unsere Münder und lässt uns sprechen, das was alle denken, aber nur wenige sich trauen auszuprechen: Scheiß Deutsche Bahn. Ich hätte lieber mit dem Auto fahren sollen! Die Gesichter hellten auf und ein Strahlen machte sich auf ihnen breit. Ein Leuchten ging über den düsteren Ort. Nagelkasten, du hast uns gerettet, erlöst aus unserer Verstrickung, unserem Gefangensein. Wir sind nicht mehr allein!