Günter Krass - Die Parabel vom Drückfrosch


Drückfrosch drückte gern und ausgiebig, besonders Frauen. Er drückte sie alle, ob sie ihm nun bekannt waren oder nicht, es war ihm ein Anliegen, sie zu herzen und zu drücken, und er wollte natürlich auch, dass sie ihn drücken wollten.
Er empfand sich selbst als  Engel, der die Liebe in die Welt brachte, denn es gab keinen, der soviel drückte und herzte, keinen, der so nahe auf andere zuging, so schnell in deren Sphäre drang wie Drückfrosch. Er wusste, dass alle, und besonders Frauen, ein Bedürfnis auf Nähe hatten, dass sie es aber nicht artikulieren oder zeigen konnten, und dass er, Drückfrosch, den Mut hatte, den ersten Schritt zu tun.
Und wirklich, viele hatten sich drücken lassen.
Manche waren enttäuscht, wenn Drückfrosch sie einfach losließ, um eine andere zu drücken, nur weil diese eine Andere den Raum betrat. Drückfrosch drückte unbeirrt weiter, so als ob er eine innere Liste ausfüllte, die ihm eines Tages zeigen würde: Viel gedrückt, gut gedrückt, gut gemacht, bester Drückfrosch des Jahrhunderts!
Ich lasse mich nicht mehr von Drückfrosch drücken, dachten eines Tages viele, der ist mir zu lose, der hüpft von einer zur anderen und wenn es ernst wird, frisst er Fliegen und verschwindet oder quakt laut herum, er sei nicht der Richtige, vielleicht zum Drücken, aber keiner für die Ewigkeit.
Die Menschen, besonders die Frauen, blieben zurück mit ihrer Enttäuschung und beobachteten Drückfrosch aus der Distanz. Wenn eine Neue gedrückt wurde, dachten sie, na, die wird auch noch ihre Erfahrungen machen.
Nachdem Drückfrosch so viel gedrückt und gedrückt hatte, und so viele in seinen Armen sich hatten wohlfühlen müssen, sich hatten herzen lassen müssen, wollte Drückfrosch auch etwas zurück haben. Ich habe so viel Liebe geschenkt, wie ein kleiner Engel, quakte er laut oder leise und immer wieder, wann bekomme ich denn etwas zurück? Er quakte und quakte und quakte und die Menschen, besonders die Frauen, besannen sich und gingen, liefen, stürmten auf Drückfrosch zu, um ihn ihrerseits zu herzen und zu drücken. Nun waren es aber sehr viele, die solches taten, und Drückfrosch kam unter dieser Menge zu liegen, und wurde förmlich erdrückt von so viel Liebe, von so viel Drücken.
Am Ende des Herzens und Drückens war Drückfrosch platt. Er lag am Boden und hauchte sein Leben aus. Das Leben, die Menschen, besonders die Frauen, hatten ihn erdrückt.
Er war voller Trauer, denn er hatte sich etwas anderes gewünscht.
Drückt euch doch selbst, drückt euch ins Knie!, quakte er leise wie ein Hauch und enttäuscht schloss er die großen Augen zum letzten Mal.
Die Menschen, besonders die Frauen, drückten sich selbst, und wenn ein neuer Drückfrosch kam, dann waren sie vorsichtig und traten einen Schritt zurück.
Nur ins Knie drücken, das wollten die Menschen, und auch hier besonders die Frauen, nicht.