Moderne Schule: Über das Ermahnen und Strafen

Sie haben mich ermahnt, aber ich habe doch gar nichts gemacht!, heult der Schüler und der Lehrer ordnet der Heulsuse drei Minuspunkte in Sozialer Duldsamkeit zu. Gleichzeitig ärgert er sich, dass der Zögling immer noch nicht kapiert hat, dass der Pädagoge nur seinen Erziehungsauftrag erfüllt: Auf das Leben vorbereiten. Der Chef wird doch auch nicht die Sekretärin ermahnen, wenn er sich an dem Mitarbeiter mit den Pickeln im Gesicht und der Brille mit den Glasbausteinen abarbeiten kann, da hätte er ja Mitarbeiter bleiben können und wäre nicht Chef geworden.
Hart werden und aushalten, dulden, gedemütigt werden und trotzdem hochmotiviert weiterarbeiten, das sind die Themen, auf die Schule vorbereiten soll. Die Sekretärin, die mal wieder ein zweistündiges Privatgespräch über den Firmenapparat geführt und die Termine des Chefs verschlampt hat, erwartet eine Einladung zu einem Candlelightdinner, der mit den Glasbausteinen kriegt den Dreck ab.
Wenn der Lehrer also ermahnt, dann geht es weder um den eigentlichen Tatbestand, noch um die richtige Person. Es geht um Erziehung fürs Leben, und da sollte jeder froh sein, wenn er mal eine Ladung ätzende  Pädagogensäure abbekommt, denn das macht hart und widerstandsfähig, das macht letztendlich lebensfähig. Die Gelobten sollten sich in Heulkrämpfen am Boden wälzen, weil sie es im Leben schwer haben werden, die Ermahnten dagegen können sich freuen.
Wenn der Pädagoge den Falschen tadelt und ermahnt, so hat das auch einen erzieherischen Wert für die anderen Lerner im Raum. Zum einen wird hier stellvertretend bestraft, aber jeder fühlt sich angesprochen und duckt sich hinter der verbotenerweise auf dem Tisch liegenden Tasche weg, in dem Glauben, der Korrekturblitz könne ihn nicht treffen. Zum anderen bekommt er live und fast hautnah mit, dass es im Leben, und zwar angefangen in der Schule, nicht immer gerecht zugeht. Bevor die Schockstarre im Berufsleben einsetzt, wird sie hier vorweggenommen und jeder kann sich daran sie gewöhnen und den Umgang mit ihr einüben. Je mehr der Klassenkamerad runtergemacht wird, desto besser der Trainingseffekt für den Rest der Klasse. Dem Delinquenten, dem der meistens dran ist, weil er sowieso immer dran ist, kann man auf dem Zeugnis als Entschädigung soziale Kompetenz attestieren, obwohl es schwierig ist, die Opferrolle in schöne Worte zu kleiden.
Die Vorwegnahme der Wirklichkeit könnte man das Ziel des Pädagogen nennen, und so hat auch der Zeigestockschwinger selber die Möglichkeit, wenigstens gefühlt das normale Leben zu erfahren und muss nicht nur in seinem Kontinuum angestaubter Lehrpläne und überholter Lerntechniken verharren. Das macht ihn entspannter im Unterricht.
Wenn ein Schüler sich beschwert, so kann das seine Kritikfähigkeit erweitern, vor allem, wenn der Lehrer widerspricht und ihm unter Androhung einer Sonderaufgabe bedeutet, endlich still zu sein und zu schlucken. Endlich Ruhe zu geben, denn das mache einen guten Bürger später aus. Warum nicht schon heute damit anfangen? Demut und Unterordnung kann man nicht aus dem Ärmel schütteln, das will gelernt sein. Wenn der Schüler sich nicht beschwert, kann er trotzdem abgestraft werden, damit die aus vorherigen Stunden erlernte Demut gefestigt wird.
Neben dem Gerechtigkeitssinn kann auch der Ungerechtigkeitssinn geschult werden, denn es geht nicht immer danach, wer Recht hat, sondern wer Recht bekommt.Das ist besonders in der neuen liberalen Marktwirtschaft zu finden, da regieren persönlicher Vorteil und Wegbeißen des Konkurrenten.
Nicht jaulen, nicht jammern, nicht schmerzjodeln , liebe Zöglinge! 
Auch der Lernstoffvermittler braucht einen Kanal, um seine Frustrationen loszuwerden. Vielleicht hat er einen Einlauf vom Schulleiter bekommen, vielleicht sein Schlüsselbund verlegt oder sein Parkplatz war durch eine Lehramtsanwärterin besetzt, das alles muss er loswerden. Gemäß dem Prinzip 'nach oben buckeln, nach unten treten' hält der Schüler symbolisch sein entsprechendes Körperteil hin und sorgt für einen Pädagogen, den man ertragen kann, weil er sich abreagieren konnte.
Wer später einmal Chef werden will, kann hier schon die entsprechenden Social Skills beobachten und vielleicht an seinem Hund ausprobieren, denn der bellt ja nur und beißt nicht.
Alle anderen sollten sich gut überlegen, ob sie sich Pickel, Segelohren, Übergewicht oder kurze Beine leisten können. Denn die werden nicht Sekretärin beim Chef, die sind dann die Glasbausteineträger, die dafür herhalten müssen, dass der Chef sich abreagieren kann, weil seine Sekretärin wieder Mist gebaut hat, er aber nicht auf das Candlelightdinner verzichten möchte.
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Immer dran denken: Fürs Leben lernen wir, nicht für die Schule, und das ist kein Zuckerschlecken.