Günter Krass - Mobbing in den 60ern

Mobbing - Das kannte doch keiner. Jeder kannte einen Mopp, oder einen Bohnerbesen, auf den man sich als kleines Kind gestzt hatte, um sich von der Mutter durch die Küche schieben zu lassen; man musste aufpassen, dass keine Körperteile in das Gelenk zwischen Stiel und gusseisernem Polierteil gerieten, dann hatte man sich poliert, wie es damals hieß. Sich polieren, das tat weh.
Hätten wir Mobbing gekannt, hätten wir gewusst, was wir da machten.
Güpi mit der Hasenscharte und rothaarig, den hätten wir gemobbt, wenn wir es gewusst hätten. Er war andersartig, rothaarig nämlich, hasenschartig und sprachbehindert dadurch, bleich und still, weil er deswegen das Opfer war, und wir waren die Starken, weil Gutaussehend und ohne besagte Merkmale. Wir waren normal. Wer normal ist, durfte andere zurücksetzen. Auf  Null. Oder auf ihre Wesensart. Der Hasenschartige war eiene Missgeburt. Der Bleiche und Rothaarige musste schon einiges anbieten, um dazuzugehören. Aber auch die dazugehörten, liefen Gefahr, gemobbt zu werden.
Weil sie kleiner waren, weil sie keien Haare unter den Armen hatten, die andere schon hatten, weil ein Mädchen sich in sie verliebt hatte, obwohl man mit der ersten Rasur verscuht hatte, einen kräftigeren Bartwuchs zu bekommen.  Wir mobbten nicht, weil wir nicht wussten, was das war. Wir hatten keine Ahnung, weil man uns so vieles nicht gesagt hatte.