Heinrich Böller - Weiser Uhu


Alle hatte ihn immer schon für einen Besserwisser gehalten. Der Uhu sei weise, erzählte man. Er sitze immer er auf seinem Stammplatz und betrachte die Welt. Er sei ein Philosoph und könnte jedem einen guten Rat geben.
Nur einen gehört hatte bis dahin noch keiner. Für den Fall, dass ein Vogel einen Rat brauchen könnte, brachte ihm jeder ein wenig zu fressen. Daher sah auch niemand den Uhu jagen.
„Er jagt nachts, wenn wir schlafen“, erzählte der Spatz. Aber auch das hatte noch niemand gesehen.
„Uhu, bist du weise?“ wollten viele wissen, denn eigentlich hielten sie ihn für einen Klugscheißer.
Ständig nickte er bedächtig, und das war schlimm genug.
Er tat so, als wisse er alles.
„Uhu, bist du weise?“ wiederholten die Vögel.
Der Uhu nickte wie immer.
„Dann beweis uns das mal!“ schrieen jetzt alle. „Wir wollen sehen, dass du weise bist!“
Plötzlich bewegte der Uhu sich und riss seine gewaltigen Flügel auseinander.
„Seht her“, sprach er ruhig, und alle hatten eigentlich einen großen Auftritt erwartet,
„ Seht her“, wiederholte er, „ es ist äußerst weise, mit einem so großen Loch“, und das Loch war wirklich groß, „ mit einem so großen Loch nicht zu fliegen.“
Sagte es und fiel sofort in sein Nicken zurück.
Da hatte er wohl Recht gehabt, denn die Vögel schwiegen betreten und flogen nachdenklich in ihre Nester zurück.